China justiert Lateinamerikapolitik neu
7. Februar 2021Edelmetallminen, Bahnstrecken und Wasserkraftwerke - die Bandbreite von Projekten mit chinesischer Finanzierung in Lateinamerika ist groß. Anfang der 2000er Jahre entdeckte die aufstrebende Macht aus Asien die Region auf der anderen Seite des Pazifiks für sich als Absatzmarkt, Rohstoffquelle - und Investitionsziel. Doch nach einem regelrechten China-Boom vor allem in Südamerika scheint das chinesische Interesse an der Region mittlerweile abzuflauen.
Laut einer Studie der Universität Boston und der US-amerikanischen Non-Profit-Organisation Inter-American Dialogue gewährten Peking und seine Entwicklungsbanken in Lateinamerika zwischen 2005 und 2015 durchschnittlich 1,7 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Seit 2016 halbierte sich dieser Wert Jahr für Jahr auf 275 Millionen US-Dollar im Jahr 2019. 2020 vergab China keinen einzigen Kredit in Lateinamerika.
Im selben Zeitraum schwächelte auch der Warenaustausch: Zwischen 2000 und 2013 wuchs der gemeinsame Handel um durchschnittlich 30 Prozent pro Jahr, danach ging er zeitweise sogar zurück, erst 2019 erreichte wieder das Niveau von 2014.
Gegenseitige Abhängigkeit
Eine echte Abkühlung sieht Margaret Myers, eine der Studienautoren, darin jedoch nicht: "Viele lateinamerikanische Länder hatten ökonomische Schwierigkeiten", sagt die Leiterin des China- und Lateinamerika-Programms der Non-Profit-Organisation Inter-American Dialogue.
Für größere Kurswechel seien die Beziehungen bereits zu intensiv, sagt Myers: "Sollten etwa die Soja-Lieferungen aus Argentinien und Brasilien ins Stocken geraten, haben die Regierungen auf beiden Seiten ein großes Problem." Andersherum liefere Brasilien bereits annähernd 100 Prozent seiner Sojaernte an China. "Die Handelsbeziehungen sind gesund, aber es ist unwahrscheinlich, dass wir noch einmal Wachstumsraten wie vor zehn Jahren sehen werden", sagt Myers.
China hat Lehrgeld gezahlt
Ein Umdenken findet aber offenbar auf chinesischer Seite beim Thema Direktinvestitionen statt. Jahrelang hatte das Land vor allem linksgerichteten Regierungen riesige Kredite eingeräumt. Darunter die in Ecuador, Argentinien, Brasilien und - vor allem - Venezuela. Fast die Hälfte des Geldes, das China der Region zwischen 2005 und 2019 lieh, ging an das sozialistische Regime in Caracas, das damit unter anderem die Förderung von Erdöl ausweiten sollte, um damit seine Schulden zu begleichen. "Stattdessen ist die Ölproduktion seither auf 20 bis 25 Prozent eingebrochen", sagt Harold Trinkunas, Lateinamerikaexperte der US-Universität Stanford. "China könnte sich an Lateinamerika also genauso die Finger verbrennen wie viele internationale Geldgeber zuvor."
Chinesische Medien, sagt Margaret Myers, vermieden es mittlerweile, das Thema Venezuela zu erwähnen. Die Parteiführung hingegen hoffe womöglich noch darauf, dass sich das Investment langfristig doch noch auszahlt.
Ein schwieriges Investitionsziel
Kritiker werfen den USA und Europa gerne vor, tatenlos zuzusehen, wie China sich in Lateinamerika breit mache. Dabei gibt es gute Gründe dafür, dass westliche Investoren zurückhaltend in die Region investieren. Denn auch wenn Venezuela ein Extremfall sein mag, ist doch bekannt, dass Investitionen in Lateinamerika hohe unternehmerische und politische Risiken bergen.
Käufer argentinischer Staatsanleihen können ein Lied davon singen - genauso wie der spanische Ölkonzern Repsol, dessen Anteile an der argentinischen Tochtergesellschaft YPF 2012 von der Regierung in Buenos Aires enteignet wurden. Das Abenteuer, in Brasilien ein Stahlwerk zu bauen, kostete den deutschen Traditionskonzern ThyssenKrupp etwa zehn Milliarden Euro. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Mittlerweile hat auch Peking solche Erfahrungen gemacht. Als Konsequenz, sagt Myers, habe China sein finanzielles Engagement überdacht. Kredite von Regierung zu Regierungen vergibt es kaum noch. Größere Bedeutung haben nun Direktinvestitionen chinesischer Unternehmen, etwa in Infrastrukturprojekte im Energie- oder im Transportsektor. "Trotz der wachsenden Erfahrung mit Lateinamerika wird China immer wieder von Problemen überrascht", meint Myers.
Klare Win-Win-Situation
Allerdings nimmt China diese Risiken in Kauf, weil es sich politische Vorteile verspricht: "Genau wie in anderen Weltregionen nutzt China Kredite und Investitionen, um sich Stimmen in UN-Gremien und Unterstützung für seine Ein-China-Politik zu sichern", sagt Stanford-Forscher Trinkunas. "Aber das funktioniert vor allem mit kleinen, überschuldeten Ländern." Ende 2018 brach etwa El Salvador die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan ab, im Gegenzug sicherte China dem Land seine Hilfe beim Bau eines Stadions, einer mehrstöckigen Bibliothek und eines Klärwerks zu. Davor hatten bereits die Dominikanische Republik und Panama die Ein-China-Politik anerkannt und sich damit auch von den USA abgewandt.
"Für kleinere Länder kann es sehr nützlich sein, die beiden Supermächte gegeneinander auszuspielen", meint Trinkunas. Ziel eines Seitenwechsels könne es sein, nicht nur chinesische Investitionen anzuziehen, sondern im Gegenzug auch wieder mehr Unterstützung von den USA zu erhalten.
Oftmals sind China und seine Unternehmen für lateinamerikanische Regierungen aber auch schlicht der attraktivere Geldgeber. Obwohl sie ihre Investitionen oft an den Einsatz chinesischer Ausrüstung und Arbeitskräfte binden. Denn, im Gegensatz zu westlichen Partnern, kümmerten sie sich nicht um Menschenrechte, Naturschutz oder Korruption, meint Trinkunas.
Hilfe in der Corona-Krise
Ein Rückzug Chinas aus der Region lässt sich also keinesfalls ausmachen. Im Gegenteil: Mittlerweile umgarnt Peking sogar die Regierung in Mexiko, das als einziges Land der Region wirtschaftlich noch fest mit den USA verbunden ist. Es ist aber auch eines der wenigen Länder, in dem China zuletzt mehr investierte als früher. Erst Anfang des Jahres bestätigte der mexikanische Außenminister Marcelo Ebrard, sein Land wolle die strategische Partnerschaft mit China intensivieren. Ende Januar sandte Chinas Präsident Xi Jinping Genesungsgrüße an Mexikos an COVID-19 erkranktes Staatsoberhaupt Andrés Manuel López Obrador.
In der Corona-Krise hatte China schon früh viele Länder in Lateinamerika im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus unterstützt - etwa mit Schutzmasken. Brasilien spielte eine wichtige Rolle in der klinischen Erforschung des chinesischen Impfstoffs CoronaVac. Chile soll noch diese Woche zwei Millionen Dosen des chinesischen Sinovac-Impfstoffes erhalten.
"Chinas COVID-Hilfen sind sicher eine Geste der Solidarität", sagt Margaret Myers. "Sie sind aber auch eine Gelegenheit, Entwicklungen chinesischer Unternehmen in den Bereichen Biomedizin und Diagnostik mit künstlicher Intelligenz zu präsentieren." Viele der Hilfen fänden aber auch auf lokaler Ebene, etwa in Chinas wachsendem Netzwerk globaler Städtepartnerschaften statt, sagt Myers.
Wie auch auf wirtschaftlicher und politischer Ebene zeige sich hier ein weiterer Aspekt, der China als Teil des globalen Südens von den USA als Partner Lateinamerikas unterscheidet. "Viele dieser Länder kämpfen mit denselben Problemen und sind offen dafür, gemeinsame Lösungen zu erarbeiten."