Diplomatie in 140 Zeichen
23. Juni 2015In den Morgenstunden des 2. April wurde aus den #IranTalks ein #IranDeal. Die Twitter-Hashtags der Verhandlungsführer machen klar: Es gab einen Durchbruch in den Atomgesprächen zwischen dem Iran, den UN-Vetomächten und Deutschland. Die Diplomatie hatte gesiegt - und mit ihr die "Twiplomacy", die Außenpolitik über den Kurznachrichtendienst Twitter.
Nach jahrelangen zähen Verhandlungen, nach Schlagabtausch und Kompromissangeboten sowohl im Internet als auch in Hinterzimmern Schweizer Hotels zeigten sich Javad Sarif, John Kerry und Frank-Walter Steinmeier gegenüber ihren Followern erfreut.
Nicht nur zahlreiche Außenminister, auch zwei von drei Staats- und Regierungschefs nutzen laut einer Studie der Beratungsfirma Burson-Marsteller derzeit Twitter, sowie mehr als 4000 Botschafter und diplomatische Vertretungen. "Damit hat die Diplomatie eine viel weitere Reichweite als früher", sagt Jan Melissen vom Niederländischen Institut für Internationale Beziehungen in Den Haag. "Die Menschen können jetzt sehen, was Diplomaten tun. Übrigens auch die Fehler, die sie machen."
Das Ende der Diplomatie
Wird ihr Job unmöglich, wenn fast alles transparent wird, beinahe in Echtzeit? Bei wichtigen Verhandlungen wie den Atomgesprächen in Lausanne könnte ein vorschneller Tweet schnell zum Eklat führen. "Mein Gott, das ist das Ende der Diplomatie", soll der britische Premier Lord Palmerston schon Mitte des 19. Jahrhunderts ausgerufen haben, als man ihm die erste Telegrafennachricht überreichte. Schließlich führte die neue Technologie aber nicht zum Untergang des diplomatischen Korps – sie wurde alltägliches Werkzeug der Diplomaten.
So ähnlich kann das auch mit Twitter und anderen Netz-Diensten sein. Hier stehen Diplomaten und Politiker allerdings vor einer neuen Herausforderung: "Sie müssen ihre Sprache ändern, sie müssen auf gewohnte Kürzel verzichten. Sie müssen so reden wie wir", sagt Deborah Seward, die als Kommunikations-Direktorin bei den Vereinten Nationen tätig ist. "Und das ist gut so, denn es hilft den Menschen, zu verstehen, was sie versuchen, zu erreichen." Gemeinsam mit Melissen und weiteren Experten diskutierte Seward auf dem DW Global Media Forum darüber, wie digitale Technologien internationale Beziehungen verändern.
Der Krieg ist auf Youtube
Die ändern sich nicht so sehr durch einige Tweets von Politikern, sondern durch Millionen Tweets von Nutzern aus aller Welt, die jede Minute Bilder, Videos und Meinungen online stellen. Die Regierenden sehen sich einer Flut von Inhalten ausgesetzt, die sie nicht länger kontrollieren können. "Das ist eine Herausforderung, mit der noch keine einzige Regierung zurecht kommt", sagt der ehemalige BBC-Moderator Nik Gowing. "Und wir stehen ja erst am Anfang eines digitalen Wandels, der die Massen ermächtigt und die Legitimität der Machthaber in Frage stellt."
Denn sie hätten die Kontrolle über den öffentlichen Raum verloren, so Gowing. Die Folgen ihres Handels seien sofort im Internet einsehbar, etwa, "wenn in Homs oder Aleppo eine Fassbombe aus einem Hubschrauber geworfen wird". Das führe bei vielen Politikern zur Risikovermeidung und Zurückhaltung - im Guten wie im Schlechten.
Ein Lügen-Tsunami
Noch führten Diktaturen ein Rückzugsgefecht, wenn sie angesichts unzähliger Videobeweise über ihre Untaten von einem "Himmel voller Lügen" sprächen wie die burmesischen Machthaber angesichts von Massendemonstrationen im Jahr 2007 oder wie das Assad-Regime, dass Internetaktivisten für einen "Tsunami der Lügen" verantwortlich macht.
Allerdings: Fehlinformation und Propaganda sind im digitalen Zeitalter nicht weniger präsent als zuvor. Von den Trollen der russischen Regierung, die im Ukraine-Konflikt an der Medienfront lagern bis hin zur modernen PR-Strategen unter der schwarzen Flagge des IS – sie alle mischen mit im Spiel um Macht und Einfluss. Und die Diplomaten von einst? Wenn sie nicht auch digital werden, dann werden sie obsolet, sagt Jan Melissen vom Niederländischen Institut für Internationale Beziehungen.
Die analogen Mühen des Außenministers
In einer Videobotschaft an die Teilnehmer des Global Media Forums warnte Außenminister Frank-Walter Steinmeier jedoch vor überzogenen Erwartungen an die digitale Diplomatie. "Im Gegensatz zur Bilderflut aus den Krisenherden erscheinen manche Methoden der Außenpolitik langsam und altmodisch", so Steinmeier. "Diplomatische Verhandlungen, nächtelange Gesprächsrunden und das zähe Ringen um Kompromisse brauchen ihre Zeit." Wenn am Ende ein Deal steht, so wie bei den Verhandlungen zum iranischen Atomprogramm, dann ist wohl auch egal, ob das geheime Gespräch oder die öffentliche Debatte den Ausschlag gegeben hat.