Dino im Wissensland
7. Mai 2007Eine gute Enzyklopädie mit einigen dutzend Bänden gehörte bislang in jedes Haus mit Bildungsanspruch - im vorherigen Jahrhundert jedenfalls. Heute beantworten Google und Wikipedia den meisten Menschen ihre Fragen - online und kostenlos. Doch die Dinosaurier des Wissens schlagen zurück: Die größte deutsche Enzyklopädie, den Brockhaus, gibt es digital - nicht umsonst, aber nach Angaben ihrer Macher mit mehr Tiefgang und Fundament als Wikipedia und Konsorten.
Viel Wissen braucht nicht viel Platz
Die neueste Auflage der Brockhaus-Enzyklopädie beinhaltet Artikel zu 300.000 Stichwörtern. Diese Fülle an Wissen benötigt seinen Platz: 30 Bände mit insgesamt 24.500 Seiten brauchen fast zwei Meter im Bücherregal und wiegen 70 Kilo - oder auch nicht: Auf einem einzigen USB-Stick und zwei DVDs bekommt man das gleiche. Für traditionsbewusste Liebhaber von Büchern mag der digitale Brockhaus wie Gotteslästerung wirken. Eine große Enzyklopädie bildete doch immer das Zentrum und den Rückhalt einer guten Bibliothek.
Doch das Wissen der Welt in digitaler Form erleichtert vieles: Langes Durchforsten riesiger Lexikonbände nach dem richtigen Artikel gehört der Vergangenheit an. Eine gute Suchfunktion ermöglicht sogar noch mehr. Der digitale Brockhaus ist in der Lage einfache Fragen zu beantworten: Auf die Frage nach dem größten Tier der Welt erscheint richtigerweise ein Artikel zum Blauwal. Natürlich lässt sich diese Funktion auch überstrapazieren. Gefragt, wo es den besten Wein gibt, erscheint ein Artikel über die Kleinstadt Radebeul in Sachsen. Dies mag zwar manchem dortigen Lokalpatrioten als vollkommen richtig erscheinen, zeigt aber vor allem die Schwächen der flexiblen Suche.
Von Goethe zu Marx
Die digitale Umsetzung ist insgesamt solide durchgeführt. Die meisten Benutzer werden sich schnell zurechtfinden und die praktischen Vorteile des digitalen Lexikons schätzen lernen. Der Kauf der Buchversion ermöglicht zudem den Zutritt zum Wissensarchiv von Brockhaus online - per PC von überall und jederzeit. Seinen digitalen Brockhaus kann man dabei dann auf den neusten Stand bringen. Ein Plus der digitalen Version, denn die Buchversion verliert von Tag zu Tag an Aktualität.
Es werden verschiedenste multimediale Inhalte geboten: Videos, Grafiken, Fotos und Tondokumente. Auch ein Atlas ist dabei. Dieser funktioniert ähnlich wie das populäre Google Earth. Allerdings basiert der Brockhaus Atlas nicht auf so detaillierten Satelliten-Fotos.
Interessant ist der so genannte dreidimensionale Wissensraum. Dort werden zu einem gesuchten Begriff vielfältige Bezüge geliefert - Querverbindungen zu ganz unterschiedlichen Themengebieten. Hier kommt Leben in den digitalen Brockhaus: Schnell ist man über Johann Wolfgang von Goethe in der Weimarer Republik und schließlich bei Karl Marx angelangt. Dem digitalen Schmökern steht nichts mehr im Wege. Ob alle Querverbindungen ganz logisch sind, verliert dabei schnell an Bedeutung.
Das kostenlose Kollektiv
Querverbindungen kann das freie Internetlexikon Wikipedia in dieser Form nicht bieten. Aber das kostenlose Wissenskollektiv bedrängt die klassischen Enzyklopädien. Eine kurze Studie des amerikanischen Wissenschaftsmagazin "Nature" wirkte vor knapp zwei Jahren wie der Offenbarungseid für die traditionsreiche Branche. Die altehrwürdige "Encyclopaedia Britannica" (EB), seit 1768 eine Institution des Weltwissens, ist nach "Nature" nur unwesentlich weniger fehlerhaft als Wikipedia.
Das Magazin legte Experten jeweils die Artikel aus der EB und Wikipedia zu 42 naturwissenschaftlichen Themen vor. Dabei war nicht erkenntlich, woher der jeweilige Artikel stammte - eine Blindverkostung von Wissen. Das Internetlexikon schnitt so gut ab, dass Fragen aufkamen, ob es überhaupt noch professionelle Enzyklopädien brauche.
Manipulierte Wikipedia-Artikel
Der große Nachteil des kollektiven Weltwissens ist allerdings die Manipulierbarkeit von Fakten. Dies scheint unvermeidbar, da jeden Tag 500 neue Artikel allein zur deutschen Wikipedia hinzukommen. Jeder kann Darstellungen nach eigenen Vorstellungen gestalten. Von Rechnern des deutschen Bundestages wurden schon Politikerbiografien umgeschrieben, Heldentaten erfunden oder Affären gelöscht. Eine professionelle Enzyklopädie macht also durchaus noch Sinn. Das dabei die digitale Version auf lange Sicht das Buch ablösen wird, ist gut vorstellbar.