Diffuse Bedrohung durch den IS in Afghanistan
12. Februar 2015"Der IS ist jetzt auch in Afghanistan aktiv", sagt der Vorsitzende des Provinzrats von Farah, einer Provinz in West-Afghanistan. Gegenüber der Deutschen Welle bekräftigt Farid Bakhtwar, dass jüngste Berichte über die Präsenz der islamistischen Terror-Miliz in Teilen des Landes zuträfen. Sie rekrutierten dort neue Kämpfer, einige ehemalige Taliban-Kämpfer hätten sich dem IS angeschlossen, so Bakhtwar. Seit Anfang des Jahres hatten afghanische Sicherheitsbehörden immer wieder gemeldet, dass der "Islamische Staat" in Afghanistan aktiv sei.
Auch der neue afghanische Präsident Ashraf Ghani warnte in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz mit Blick auf den IS vor einem "globalen Ökosystem des Terrors", und in diesem Ökosystem spiele Afghanistan weiterhin eine zentrale Rolle. "Wenn wir diese Tatsache vergessen und unseren Fokus auf andere Regionen richten, wird das Konsequenzen haben", so Ghani.
Signal an den Westen
Afghanistan-Experte Graeme Smith von der "International Crisis Group" sieht zwei Motive hinter Ghanis Warnung: Zum einen versuche er angesichts des NATO-Truppenabzugs und verminderter Mittelzuflüsse von außen, Afghanistan international nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. "Im übrigen dürfte er ernsthaft besorgt über das Entstehen einer militanten Bedrohung auf afghanischem Boden sein, die noch weit extremer als die der Taliban ist", so Graeme Smith.
Aber wie groß ist die Gefahr einer Ausdehnung des IS in Afghanistan wirklich? Die Einschätzung innerhalb der afghanischen Regierung dazu sei unterschiedlich, sagt Smith. "Manche spielen die Bedrohung herunter, weil man dort generell Sorgen über neue Bedrohungen nicht zugeben will." Andere dagegen sähen in der Bedrohung durch den IS ein Mittel, um leichter an Gelder der internationalen Geber zu kommen.
Auch Abdul Ghafoor Liwal, Leiter des Zentrums für Regionale Studien in Kabul, "wäre nicht überrascht, wenn die afghanische Regierung diese Drohungen übertriebe." Andererseits stelle die Terrorgruppe tatsächlich eine große potentielle Gefahr für Afghanistan und die gesamte Region dar.
Ideologische Unterschiede zwischen IS und Taliban
Für Afghanistan-Experten Graeme Smith lässt sich aus den derzeitigen Informationen, die aus Afghanistan kommen, schließen, dass einige wenige Gruppen unter der schwarzen IS-Flagge in Afghanistan operieren. Diese umfassen "mehrere Dutzend Kämpfer und manchmal einige hundert." Damit stelle der IS für die die afghanischen Sicherheitskräfte bislang eine relativ geringe militärische Bedrohung dar: "Jährlich sterben immer noch Tausende Soldaten und Polizisten bei Kämpfen mit den Taliban." Diese stellen nach Ansicht von Smith und anderen Experten wie weiterhin die größte Herausforderung für die afghanische Sicherheitspolitik dar.
Wakil Ahmad Muttawakil, ehemaliger afghanischer Außenminister unter der Talibanherrschaft, glaubt, dass die gemeinsame antiamerikanische Haltung Taliban und IS einander näher bringen könnte. Jedoch gebe es große Unterschiede: "Die Taliban glauben an einen souveränen Staat und kämpfen für ein befreites Afghanistan, das ist nicht das Ziel des IS", so Muttawakil. Es gebe auch kulturelle und religiöse Unterschiede. Eine "offizielle" Präsenz des IS würde laut Muttawakil zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit den Taliban führen.
US-Drohnenangriff
Am Dienstag (10.10.2015) bestätigten die USA, dass bei einem Drohnenangriff am Vortag der "Top-Rekrutrierer" des IS in Afghanistan, Abdul Rauf, getötet wurde. Rauf war als Taliban-Kommandeur von den USA nach Guantanamo gebracht und 2007 in ein afghanisches Gefängnis verlegt worden. 2009 wurde er freigelassen und schloss sich wieder den Taliban an. Im Januar soll er seine Loyalität zum IS bekundet haben. Rauf und seine Mitstreiter hätten Attentate vorbereitet, erklärte Pentagon-Sprecher John Kirby. Dennoch besteht die Stärke des "Islamischen Staats" in Afghanistan nach seiner Einschätzung "höchstens im Anspruch" der Gruppe, aber nicht in der Realität.