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Die überraschende Macht der Leinwand

Ralf Hoogestraat1. Juli 2004

Als Michael Moore für "911" die Goldene Palme in Cannes gewann und damit zum Topthema wurde, konnte man eigentlich schon ahnen, dass dieser Film noch für Aufsehen sorgen wird.

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Die Heiße Jahreszeit in Washington beginnt, politisch und wettertechnisch. Heiße und schwüle Sommer sind die Mover und Shaker in Amerikas Hauptstadt gewöhnt. Aber diesmal ist es doch anders, die Präsidentenwahl ist schon in vier Monaten, es gibt keinen Favoriten und die liberale Opposition wird immer frecher: Jetzt versucht sie doch tatsächlich George Bush übers Kino aus dem Amt zu jagen.

Gerade hatte Afghanistans Präsident Karzai einen Pipeline-Vertrag mit einer amerikanischen Öl-Firma unterschrieben und Michael Moore hatte uns erzählt, dass Karzai in seinem früheren Leben Berater dieser Firma gewesen war, als der Feueralarm losging.

Das Kino in Washingtons Stadtteil Georgetown war auch an einem Werktag am Nachmittag fast ausverkauft. Erst glaubten wir, die Sirene gehörte zum Film und nur widerwillig evakuierten wir das Gebäude. Vielleicht hatten die Bushies das ja mit Absicht gemacht, um uns den Genuss zu verderben.

Aber dann kamen doch die starken Jungs der Feuerwehr von Washington, bekämpften ein Minifeuer und wir mussten am nächsten Tag zurückkommen, um den Rest des Films zu sehen. Alle weiteren Vorstellungen an diesem Tage waren nämlich schon ausverkauft.

"Fahrenheit 911", Michael Moores Propaganda-Film gegen die Bushregierung, schlägt gerade alle Kino-Rekorde in Amerika. Ein Dokumentarfilm, der Hollywood-Mega-Produktionen auf die Plätze verweist, ein Film der laut Michael Moore, den Präsidenten aus dem Weißen Haus jagen soll.

Selbst die Demokraten in der Diaspora im tief-konservativen Herzen Amerikas schöpfen Hoffnung. Sie schmieren sich ihren Pausenbrote, fahren stundenlang zum nächsten Kino, das Fahrenheit 911 zeigt, feiern mit Gleichgesinnten eine Kino-Party, um dann als Einzelkämpfer in ihren Dörfern in Idaho, Michigan oder Colorado gegen die übermächtigen Republikaner anzukämpfen.

Und Michael Moore wird zum Säulenheiligen der amerikanischen Opposition, der Moses, der den Weg weisen will. Bei den Premieren im Land kommt die Partei-Prominenz und feiert, als ob man das Weiße Haus schon wieder zurückerobert hätte, aber ganz so einfach wird das wohl doch nicht.

Immer wieder holen neue Meinungsumfragen die Liberalen auf den harten Boden der Realität zurück. George Bush Junior scheint sich über die vergangenen Monate eine Teflon-Haut zugelegt zu haben. Jeden Tag mehr tote amerikanische Soldaten im Irak, der Folterskandal, die Ohrfeige des Obersten Gerichtes in Washington, das sagte, dass auch der Präsident die Gesetze beachten müsse und den Gefangenen von Guantanamo den Gang vor amerikanische Gerichte erlaubte, nichts scheint an George Bush kleben zu bleiben.

Obwohl die Mehrheit der Amerikaner jetzt sagt, der Irak-Krieg sei eine Katastrophe und die Regierung habe wohl gelogen: Geht es um die Präsidenten-Frage, dann liegt Bush in einer neuen Umfrage von NBC und Wallstreet Journal noch immer gleichauf mit John Kerry.

George Bush verkauft unterdessen seine Erfolge: Zwei Tage früher als versprochen ist der Irak wieder souverän geworden. Saddam Hussein steht schon vor einem irakischen Gericht.

Paul Bremer, Amerikas Pro-Konsul für den Irak, verschwand nach der Machtübergabe so schnell aus Bagdad, dass er für sein Mittagessen mit dem amerikanischen Präsidenten in Washington noch immer seine Wüstentreter aus Irak anhatte. Er fühle sich erleichtert, als ob eine große Last von seinen Schultern genommen worden sei, erzählte Bremer Reportern.

Maureen Dowd, linksliberale Kolumnistin der "New York Times", hat da gleich eine neue amerikanische Strategie für den Irak entdeckt: Aus Schock and Awe, erschrecken und beeindrucken, ist jetzt Sneak and Shirk geworden: Wegschleichen und sich drücken.