Die zwei Gesichter des BVB
4. Mai 2019Was war den Dortmundern nach der Niederlage im Revier-Derby gegen Schalke 04 am letzten Wochenende nicht alles vorgeworfen worden: Fehlende Nervenstärke, Unerfahrenheit, mangelnde Qualität, Fehleranfälligkeit. Die 1:3-Niederlage gegen den ewigen Rivalen aus Gelsenkirchen hatte die Defizite der Schwarzgelben schonungslos offen gelegt. Auch Dortmunds Trainer Lucien Favre ließ sich schon zu einer Kapitulation im Meisterkampf hinreißen.
Doch bekanntlich strauchelten die Bayern völlig unerwartet in Nürnberg. Dortmund war wieder im Rennen. Am 32. Spieltag legte Bayern durch einen lockeren und niemals wirklich gefährdeten Heimsieg gegen Tabellenkind Hannover 96 am Samstagnachmittag vor und setzte die Dortmunder unter Zugzwang. Zwischenzeitlich waren die Bayern bis auf fünf Punkte enteilt und der BVB hatte die deutlich schwierigere Aufgabe auswärts in Bremen.
Dortmund von Beginn an hellwach
Doch die Dortmunder ließen zu Beginn der Partie gegen Bremen keinerlei Zweifel an ihrer Entschlossenheit. Sie starteten gegen Werder extrem stark und waren vom Anpfiff an hellwach. Christian Pulisic, der über Monate nur Ersatz war, belohnte sich früh mit einem wirklich tollen Tor nach feiner Einzelleistung.
Dabei hatte Bremen den BVB im Februar im Achtelfinale des DFB-Pokals noch vor erhebliche Probleme gestellt. Trotz mehrmaliger Führung war der BVB damals nach Elfmeterschießen an den Werderanern gescheitert. Es sollte Warnung und Omen zugleich sein.
Werder quasi abgemeldet
Mario Götze hatte in der eigenen Hälfte kurz vor Ende der ersten Halbzeit den Ball erobert und mit feinem Pass auf Paco Alcácer einen Konter eingeleitet. Als Bremens Marco Friedl sich gegen Pulisic nur noch mit einem Foul zu helfen wusste, schlug die große Stunde des Spaniers. Alcácers überragende individuelle Qualität sorgte dafür, dass der Freistoß direkt in die Maschen des Bremer Tores flog.
Dortmund hatte das Spiel fest im Griff und ging mit einer sicheren 2:0-Führung in die Pause. Bremen wirkte geschockt, die letzte Chance der Norddeutschen auf die Europa League schien außer Reichweite.
Kohfeldts personeller Kniff
In der 60. Minute brachte Werder-Trainer Florian Kohfeldt dann aber Routinier Claudio Pizarro und Kevin Möhwald. Eine folgenreiche Personalentscheidung. Zehn Minuten später gelang dem eingewechselten Möhwald der Anschlusstreffer, Dortmund-Keeper Roman Bürki sah dabei ganz schlecht aus, als ihm die Kugel durch die Beine rutschte.
Fortan war alle spielerische Klasse der Borussen und Souveränität wie weggeblasen. Panik machte sich breit, kollektive Fehlerketten, Ballverluste, verlorene Zweikämpfe. Das Weserstadion wachte auf, peitschte seine Mannschaft nach vorne. Altmeister Pizarro ließ sich fünf Minuten nach dem Anschlusstreffer nicht zweimal bitten netzte zum 2:2-Ausgleich ein.
Dortmund kriecht ins Ziel
"Es ist schwer zu sagen, wie wir das wieder angestellt haben", sagte der enttäuschte Dortmunder Julian Weigl. Die Meisterschaft scheint futsch. Der Abstand zu den Bayern beträgt vier Punkte. Die Chancen auf den Titel dürften nur noch theoretischer Natur sein. In dieser Form kann sich der BVB nur noch ins Ziel retten und die Saison würdig zu Ende bringen. Im Meisterschaftsrennen spielen sie in dieser Verfassung keine Rolle mehr.
Das Spiel zeigte mustergültig den Prozess den der BVB in dieser Saison durchlaufen hat, die von vielen als Umbruch-Jahr tituliert worden war. Vieles was in der Hinrunde klappte, war überragend und in dieser Form nicht zu erwarten gewesen. Im Rückblick scheint vieles damals einfach zu glatt gelaufen zu sein.
In der Rückrunde mehr Gegentore als Nürnberg
In der Rückserie belegt der Klub mit 28 Punkten nur noch den dritten Platz der Rückrundentabelle. 24 Gegentore seit dem Winter sind drei mehr, als der wohl bald als Absteiger feststehende 1. FC Nürnberg. Defensiv genügt das vorhandene Spielermaterial einfach nicht für höchste Ansprüche.
Der BVB bestreitet einen Lernprozess. Viele der Spieler sind jung, sie machen Fehler, gerade unter Druck. Im Team gibt es nur einige erfahrene Spieler, an denen sich die Jungen orientieren können. Axel Witsel, Thomas Delaney, Mario Götze oder Marco Reus. Doch ausgerechnet Reus fehlte gegen Werder gesperrt. Er ist beim BVB nicht zu ersetzen.
Dortmund hat den Meisterschaftskampf lange offen und spannend gehalten - bis zum 32. Spieltag. Das verdient Respekt und ist eine Leistung für sich.