Es wird Nacht im Berlin der Wilden Zwanziger
21. Dezember 2017Begonnen hat der 1977 am Niederrhein geborene Grafiker Robert Nippoldt sein Buch über das Berlin der Weimarer Republik natürlich schon vor ein paar Jahren. So ein prächtiger Band mit Zeichnungen und aufwendigen Grafiken lässt sich nicht im Handumdrehen realisieren. "Es wird Nacht im Berlin der Wilden Zwanziger" ist ein Gesamtkunstwerk.
Das Buch lässt sich auch hören...
Auf über 200 Seiten breitet sich das gezeichnete Berlin der 20er Jahre vor den Augen der Leser aus, in Schwarz-Weiß und hellem Bronzeton. Dazu gibt es Texte von Boris Pofalla und hinten im Buchumschlag des schönen, großformatigen Bandes findet sich auch noch eine CD. Auf der hört man dann den Sound der Zeit: Lieder, gesungen von Renate Müller und Ernst Busch, Lotte Lenya und Claire Waldoff, mit Musik von den berühmten Orchestern der Zeit.
Der Buchkünstler Nippoldt, der schon Bücher über das Hollywood der 1930er Jahre gezeichnet hat oder den Jazz im New York der 20er, hat also Erfahrung - als Gestalter einer Zeit, einer kulturellen Epoche. So ein Buch braucht Zeit. Dass es jetzt, im Spätherbst 2017, fertig geworden ist und in die Buchläden kommt, ist also einerseits Zufall, andererseits lag das Thema aber wohl auch in der Luft.
Die Weimarer Republik in aller Munde
Wie sonst ist es zu erklären, dass das Jahr 2017 in vielfacher Hinsicht zurückgeblickt hat auf die Kunst und Kultur der Weimarer Republik? Es soll hier nicht die Rede sein von Publizisten und Zeit-Diagnostikern, die angesichts der sich verschärfenden politischen Auseinandersetzungen in Deutschland und dem Wiedererstarken der politischen Ränder schon von einem "neuen Weimar" warnen. So weit ist die Republik (Gott sei Dank) noch nicht!
Und man könnte ja auch ganz profan sagen: Wenn es etwas zu feiern und gedenken gibt in der deutschen Kultur des 20. Jahrhunderts, dann ist es eben der Mythos Berlin jener Jahre. Film und Musik, Tanz, Theater, Kabarett und Kunst, all das ist unvergessen und wurde auch in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder auf- und vorgeführt. Der Mythos der "Wilden Zwanziger Jahre", der natürlich unbedingt im Zusammenhang mit der Stadt Berlin zu nennen ist, hat eine weltweite Ausstrahlung.
"Berlin glänzt in einer Pracht, wie Paris sie nicht kennt."
Ein einziges Zitat (aus dem Buch von Nippoldt/Pofalla) als Beleg dafür: "Vom Kurfürstendamm aus gesehen, wirkt die Stadt auf mich wie ein funkelndes Kleinod; abends glänzt sie in einer Pracht, wie Paris sie nicht kennt. Ich bin hingerissen; die großen Cafés sind wie Ozeandampfer und die Orchester ihre Maschinen, die alles durchdröhnen und in Bewegung halten. Die Musik ist überall." Das schrieb die große Josephine Baker, die lediglich für zwei Monate des Jahres 1926 in der Stadt weilte. Doch sie war nachhaltig beeindruckt. Und sie hinterließ beeindruckte Menschen.
Auch "Babylon Berlin" blickt in die 20er zurück
Musik durchzieht auch die Serie "Babylon Berlin", die 2017 ein filmisches Serienereignis war, die zur Premiere auch in Kinos lief und beim Privatsender Sky auf kleinem Bildschirm startete. Erst im kommenden Jahr läuft "Babylon Berlin" auch vor großem Publikum im öffentlich-rechtlichen Sender ARD.
"Babylon Berlin" ist eine deutsche Serie mit großer internationaler Ausstrahlung. Natürlich gelang das Mammutprojekt gleich mehrerer Regisseure und Produzenten, weil Könner ihres Fachs am Werk waren. Doch die Serie wurde auch zu so einem großen Erfolg, vor allem international, weil sie eben einen deutschen Kulturmythos beschwor.
Die Schirn präsentiert "Glanz und Elend in der Weimarer Republik"
Und auch die Kunstwelt besann sich 2017 wieder einmal eines Jahrzehnts, das hierzulande so außerordentlich reich und vielfältig war - mit einer der schönsten und besten Ausstellungen des Jahres. Die Schirn Kunsthalle Frankfurt präsentiert seit November die Schau "Glanz und Elend in der Weimarer Republik". Hier werden noch bis zum 25. Februar 2018 Künstlerinnen und Künstler präsentiert, die die Zeit in ihren großartigen Gemälden und Zeichnungen eingefangen haben. Bekannte Namen wie Georg Grosz, Otto Dix und Christian Schad sind dabei. Vor allem aber können die Besucher hier auf Entdeckungsreise gehen und Malerinnen kennenlernen, die bisher noch nicht so sehr im Fokus standen: Jeanne Mammen, Elfriede Lohse-Wächtler, Lea Grundig oder Alice Lex-Nerlinger.
Auf ein paar Namen stößt man auch in Robert Nippoldts Buch. Auf Jeanne Mammen etwa, auf Josephine Baker, die in Frankfurt auf Gemälden abgebildet ist, ebenso wie auf die wilde Ausdruckstänzerin Anita Berber. Die Kapitel des Buches decken sich mit den Kapiteln der Frankfurter Ausstellung zum Teil verblüffend: Laster und Sex, die neue Frau, Prostitution - all das sind Themen, aber natürlich auch die verheerenden Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs in Deutschland, die Massenarmut und der politische Aufruhr.
Die Nazis setzten der kulturellen Blüte ein Ende
Und dann führt alles zum Jahr 1933. Das TV-Ereignis "Babylon Berlin" und die Ausstellung "Glanz und Elend der Weimarer Republik" sowie das Buch "Es wird Nacht im Berlin der Wilden Zwanziger", sie führen die Leser, Zuschauer und Zuhörer zum bitteren Ende einer kulturell so reichen Epoche. Die Nationalsozialisten setzten dem wilden Leben ein Ende. Literatur, Film, Musik, Kunst, Tanz und Theater konnten sich mit Hitlers Machtergreifung nicht mehr entfalten.
Geblieben ist die Erinnerung an ein Jahrzehnt, in dem Deutschland während ein paar kulturell fruchtbaren Jahren sogar Paris, New York und Hollywood in den Schatten stellte.
"Es wird Nacht im Berlin der Zwanziger Jahre" ist im Taschen Verlag erschienen, die Illustrationen stammen von Robert Nippoldt, die Texte von Boris Pofalla, 224 Seiten, mit einer CD, ISBN 978-3-8365-6319-2.