Die vergessenen Kinder der Besatzung
24. August 2006Josiane Kruger ist in einem Dorf im Osten Frankreichs aufgewachsen. Schon als kleines Mädchen fühlte sie sich anders als die anderen Kinder: Bei ihr zuhause gab es keinen Vater, nur die Mutter und die Oma. In ihrer Autobiographie, die am Donnerstag (24.08) in Frankreich erscheint, erinnert sich Josiane Kruger daran, wie sie als Siebenjährige auf dem Schulhof verhöhnt wurde: Als Tochter eines "boche", ein französisches Schimpfwort für die Deutschen. Ihre Großmutter erzählt ihr schließlich, dass der Vater ein deutscher Soldat war, der noch vor ihrer Geburt von Frankreich an die russische Front versetzt wurde und sie seitdem nichts mehr von ihm gehört hätten.
56 Jahre sind seitdem vergangen, erinnert sich Josiane: "Meine Großmutter erzählte oft, was für ein schönes Paar meine Eltern gewesen waren und und wie schön und nett mein Vater war. Umso weniger konnte ich verstehen, warum ich mich für ihn schämen sollte.
"Ausrutscher" kaschieren
Doch für die Mehrheit im Dorf, wie in ganz Frankreich, war Josianes Vater ein feindlicher Besatzer. Das Vichy-Regime sorgte bereits damals für ein Recht auf anonyme Geburt: Dadurch konnten die Babys sofort nach der Geburt zur Adoption freigegeben werden, ohne dass sie jemals den Namen der leiblichen Eltern erfuhren. Implizit forderte die damalige Regierung damit ihre Französinnen auf, eben jene "Fehltritte" mit einem Deutschen zu vertuschen.
Nach Kriegsende wuchs in Frankreich die Wut über die Schmach der Besatzung und mit ihr die Rache an den Kollaborateuren, zu denen auch die Französinnen gezählt wurden, die Beziehungen zu Deutschen hatten: sie wurden schikaniert, geschoren, nackt durchs Dorf getrieben und gezwungen, ihr Kind ins Waisenhaus zu geben.
Auch wenn Josiane und ihre Mutter einem solchen Schicksal entgehen konnten schreibt sie im Rückblick: "Meine Jugend war geprägt von einem Mangel an allem, vor allem an Liebe und Anerkennung." Sie war 14, als sie die Adresse des Vaters herausfand und ihm heimlich schrieb. Für einen dreitägigen Besuch ließ er sich später bei ihr blicken, dann verschwand er wieder aus ihrem Leben.
"Das schönste Foto meines Lebens"
Mijo Panier eine - Schicksalgenossin mit der sich Josiane Kruger bei den Recherchen für ihr Buch angefreundet hat - spürte ihren deutschen Vater erst im Alter von 62 Jahren auf. Stolz zeigt sie ein Erinnerungsbild: "Das ist das schönste Foto meines Lebens, mein Papa und ich. Alle sagen, dass wir uns auf dem Foto ähnlich sehen, darauf bin ich am meisten stolz", sagt sie.
Immer noch tabu
Josiane hat ihren inzwischen verstorbenen Vater nur dieses eine Mal gesehen. Doch mittlerweile gehört sie für dessen deutsche Frau und die beiden Söhne fast zur Familie. Ein glückliches Ende, das vielen deutsch-französischen Kriegskindern nicht vergönnt ist. Und auch erst seit Kurzen trauen sich viele, Nachforschungen nach dem verschollenen Vater anzustellen. Vor vier Jahren wurde das Thema "Kriegskinder" in einer Fernsehreportage in Frankreich erstmals öffentlich gemacht. Die Medienberichte lösten beim Archiv zu den Wehrmachtssoldaten in Berlin eine Lawine von Nachfragen aus.
Josiane, ihre Freundin Mijo und über 170 weitere Kriegskinder haben sich jetzt organisiert in der "Amicale Nationale des Enfants de la Guerre (Aneg)": "Mich rufen immer wieder ganz schüchtern Menschen an, die sagen: auch ich gehöre dazu. Aber ich möchte auf keinen Fall, dass meine Familie das erfährt. Ich habe Angst, deshalb zurückgewiesen zu werden", erinnert sich Josiane
Tot geschwiegen
Als 2004, zum 60. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie, auch erstmals der deutsche Bundeskanzler zur Staatsfeier geladen wurde, verfasste Josiane Kruger einen Brief an Claude Chirac, Tochter des Staatspräsidenten und zugleich dessen PR-Frau. Josiane schlug vor, bei dieser Feier auch die so genannten "enfants maudits", die "verdammten Kinder" zu rehabilitieren.
Eine Antwort hat sie nie bekommen. Vielleicht, weil die Existenz der Kriegskinder die nationale Legende erschüttert, im Krieg gegen die Deutschen hätten alle Franzosen mitgekämpft, vermutet Kruger: "Man wirft unseren Eltern vor, sie hätten einen schweren Fehler begangen. Blödsinn, Sie haben sich geliebt und das ist alles. Ich finde das wunderbar, dass es auch während des Krieges Liebesgeschichten gab."