Die USA und die Atombombe
6. August 2011Auch für US-Präsident Barack Obama ist es ein heikles Thema: Bei seiner Japan-Reise standen weder Hiroshima noch Nagasaki auf dem Besuchsprogramm, und als er auf der Pressekonferenz in Tokio gefragt wurde, ob er die Bombenabwürfe für gerechtfertigt hält, wich er aus. Immerhin erklärte Obama: "Ich würde mich sehr geehrt fühlen, wenn ich diese beiden Städte besuchen könnte und es hätte eine große Bedeutung für mich." Aber, so fügte er hinzu, konkrete Reisepläne habe er nicht. Immerhin entsandte Obama 2010 zum ersten Mal überhaupt einen offiziellen Vertreter der US-Regierung zu den Gedenkfeiern nach Japan.
"Präsident Obama würde den Kreis sicher gerne schließen", sagt der Historiker Richard Rhodes, der für sein Buch "Die Atombombe oder die Geschichte des 8. Schöpfungstages" den Pulitzerpreis erhalten hat, "aber er kann es erst in seiner zweiten Amtszeit tun."
Noch kein amtierender Präsident hat bisher die beiden Städte besucht und ein solcher Schritt, davon ist Rhodes überzeugt, würde heftige Proteste von Seiten konservativer Politiker - und Wähler hervorrufen. Denn für viele Amerikaner käme ein solcher Besuch einem Schuldeingeständnis gleich - für etwas, für das sie sich in ihren Augen nicht zu entschuldigen brauchen.
Kriegsverbrechen oder Mittel zum Zweck?
Der Einsatz der Atombombe, erklärt Rhodes, habe wie überhaupt der Luftkrieg der Alliierten zu der damaligen Zeit zum Repertoire des Militärs gehört. "Man wollte den Grabenkrieg des 1. Weltkrieges vermeiden", erklärt Rhodes. Und den japanischen Angriff auf Pearl Harbor vergelten. Für Jacob Hornberger, Gründer und Präsident der gemeinnützigen libertären "Future of Freedom Foundation" ist der Abwurf der Bomben "eines der schlimmsten Kriegsverbrechen der Geschichte". Man dürfe nicht Zivilisten opfern, um die eigenen Soldaten zu schützen. Die Regierung hätte dies niemals tun sollen, argumentiert er: "Zivilisten anzugreifen ist ein Kriegsverbrechen." Eine offizielle Entschuldigung bei den Japanern sei deswegen mehr als angebracht, so Hornberger.
Doch dazu wird es wohl nicht kommen, wenn sich auch die Bewertung der Bombenanwürfe mit der Zeit verändert hat, erklärt der Historiker Allan Winkler von der Miami Universität in Ohio. Was zunächst mit militärischer Notwendigkeit begründet wurde, sah man später im Kontext des Kalten Krieges: "Man wollte verhindern, dass die Russen Japan besetzen." Seit einiger Zeit aber herrsche unter Historikern die Auffassung, dass der Abwurf der Atombombe "von dem Moment unausweichlich war, an dem das Manhattan-Projekt von J. Robert Oppenheimer begonnen wurde".
Veteranen wollen die Folgen nicht wahrhaben
Die Atombomben wurden also abgeworfen, weil es sie gab. Vor allem die Veteranen des Zweiten Weltkriegs, diejenigen, die die Bomben abgeworfen haben, wehren sich heftig gegen jegliche Zweifel an der Richtigkeit des Vorgehens. Zum 50. Jahrestag der Bombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki 1995 wollte das National Air & Space Museum in Washington, DC, neben dem Flugzeug, das die Bombe auf Hiroshima abgeworfen hatte - ein B-29-Bomber - auch Artefakte aus Japan zeigen. Dazu gehörten beispielsweise eine teilweise verbrannte Uhr, die zu der Uhrzeit des Angriffs auf Hiroshima - 8 Uhr 15 - stehen geblieben war.
Doch vor allem Veteranen der Luftwaffe protestierten heftig dagegen, erinnert sich Richard Rhodes, der damals Mitglied des Ausschusses war, der dem Museum Empfehlungen für die Ausstellungsstücke gab. Die früheren Soldaten hätten es abgelehnt, überhaupt irgendetwas zu zeigen, was die Zerstörungskraft der Atombombe dokumentierte, sagt Rhodes: "Die Veteranen wollten, dass die Ausstellung ausschließlich das Flugzeug und die Besatzung, also sie selbst feierte." Dabei sollten in der Ausstellung nicht einmal besonders grausame Bilder gezeigt werden, sagt Rhodes. Doch die Veteranen konnten sich schließlich durchsetzen, die Ausstellung zeigte ausschließlich Teile des Flugzeugs und Interviews mit der Crew.
Objektive Betrachtung erst nach langer Zeit möglich
"Diese Kontroverse zeigt, wie zerrissen die Amerikaner noch immer sind, wenn es um die Bombenabwürfe geht", bilanziert Historiker Rhodes. Die Reaktionen hätten ihn überrascht, gibt Rhodes zu, denn die Zerstörungen seien schließlich ein Fakt gewesen. Aber: "Seit dem Zweiten Weltkrieg widerstrebt es den Amerikanern zuzugeben, welche Zerstörungskraft die eigenen Waffen haben." Rhodes zitiert einen Kollegen: "Es müssen 100 Jahre vergehen, bevor Menschen unvoreingenommen über einen Krieg urteilen können." Heute, sechzehn Jahre nach dem 50. Jahrestag, wäre eine solche Ausstellung vielleicht nicht mehr ganz so kontrovers, aber sicher kann man sich da nicht sein. Denn, so der Historiker: "Gefühle, die mit der Gewalt des Krieges zusammenhängen, und besonders wenn es um Zivilisten geht, diese Gefühle können über Generationen bestehen bleiben."
Dennoch bestätigen auch die Historiker, dass die Amerikaner derzeit andere Sorgen haben, als sich um das noch immer immense Atomwaffenpotential ihres Landes zu kümmern. Der Kalte Krieg ist vorbei, auch die Atomwaffen der Russen werden nicht mehr als akute Bedrohung angesehen. Die Militärs sind von Flächenbombardements als Mittel der Kriegsführung, egal mit welcher Waffe, abgerückt. Schon lange lernt kein Kind lernt mehr in der Schule "duck and cover", sich also im Falle eines Atombombenangriffs unter dem Tisch zu verstecken. Auch die Zeit des privaten Atombunkers im Vorgarten ist vorbei.
Das heißt nicht, dass von den Nuklearwaffen nicht immer noch eine Gefahr ausgeht, vor allem die, dass sie in falsche Hände geraten. Präsident Obama setzt sich deswegen für eine komplette Abrüstung ein. Aber auch das ist ein langfristiges Projekt.
Autorin: Christina Bergmann
Redaktion: Helle Jeppesen