Die USA - mit sich selbst beschäftigt
28. Dezember 2015Amerika ist eine erfundene Nation. Ihre Einwohner kamen und kommen aus allen Teilen der Welt in die USA: Arme und Reiche, Verfolgte und Glücksritter, Studenten und Analphabeten. Welch Ironie der Geschichte, dass jetzt in den Umfragen der deutschstämmige Präsidentschaftskandidat Donald Trump führt, der die Grenzen für Latinos oder Muslime dicht machen will.
Amerika ist eine Idee: "Vor dem Gesetz sind alle gleich", wie es Außenminister John Kerry vor kurzem formulierte. So anziehend dieser Gedanke auch ist - Theorie und Praxis klaffen in den USA weit auseinander. Wer Geld für Lobbyisten und Anwälte hat, ist im Vorteil. Prozesse lassen sich in die Länge ziehen, Gesetze müssen interpretiert werden, Gesetzesgeber sind besonders in den USA auf Spenden angewiesen - und damit beeinflussbar. Derjenige droht leer auszugehen, dem die Mittel fehlen. Zum Beispiel David Bates, den ich in Chicago traf. Er konnte sich einen guten Anwalt nicht leisten. Er wurde angeschwärzt, die Polizei nahm ihn fest und schlug ihn so lange zusammen, bis er ein Verbrechen zugab, das er nie begangen hat. Elf Jahre saß er im Gefängnis, bevor er rehabilitiert wurde. Leider ist das kein Einzelfall.
Heimliche Kumpanei
Mehrfach durfte ich im vergangenen Jahr aus Ferguson, Baltimore, New York, Cleveland oder Chicago berichten. Was ich hier und anderswo zu sehen bekam, ähnelt sich: Weiße Polizisten, die auf Schwarze schießen und anschließend ungeschoren davon kommen. Sie existiert: Die heimliche Kumpanei zwischen ehrgeizigen Staatsanwälten, korrupten Politikern, mächtigen Polizeigewerkschaften und den Tätern in Uniform.
Natürlich gibt es keine Entschuldigung für gewaltsame Proteste. "Doch wie anders sollen wir auf Rassismus und Polizeigewalt aufmerksam machen?", fragte mich in Ferguson ein junger Demonstrant. Er wuchs in einer Nachbarschaft auf, in der fast nur Afroamerikaner leben. Die Schulen waren und sind immer noch schlecht, Straßen und Geschäfte runtergekommen, es gibt kaum Jobs. Weiße Polizisten verteilen Strafzettel, um die Stadtkasse aufzubessern. "Unter der Hand" kommt hier jeder leicht an Waffen und Drogen. Die Klassen-Gesellschaft wird zementiert. "Wer da hat, dem wird gegeben; wer nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden." (Matthäus 25,29)
Fehlender Wille
Viele Amerikaner wissen, dass ihre Beamten schlecht ausgebildet sind und wenig verdienen. Doch höhere Steuern zahlen, um das zu ändern, möchten sie nicht. Die meisten Amerikaner ahnen: Mehr Waffen führen zu mehr Gewalt. Doch befürworten die meisten US-Amerikaner den Waffenbesitz. Also bleibt alles wie es ist.
Dabei wäre Geld da, um strengere Kontrollen beim Waffenkauf einzuführen oder in die Bildung von Afroamerikanern und Latinos zu investieren. Denn im Unterscheid zur EU oder vielen Schwellenländern wächst die US-Wirtschaft robust, Aktien und Häuserpreise steigen, die Banken sind stärker denn je.
Doch es fehlt der Wille zu Reformen. Präsident Barack Obamas "Change" fand nicht statt. Republikaner und Demokraten blockieren sich im Kongress gegenseitig, was sie nicht daran hindert, sich genau darüber zu beklagen.
Beschämter Blick
Immerhin sind sie sich einig, keine syrischen Flüchtlinge in die USA zu lassen - es könnten sich darunter Terroristen befinden. In den vergangenen fünf Jahren kamen 2234 Flüchtlinge aus Syrien in die USA. Wenn ich Amerikanern sage, dass Deutschland 2015 eine Million Flüchtlinge aufgenommen hat - viele davon aus Syrien - werden sie ganz still, blicken beschämt zu Boden. Dabei hat Deutschland den völkerrechtswidrigen Krieg im Irak sowie die Folgen für die Nachbarländer nicht zu verantworten, wohl aber die USA.