Die USA - ein kriegsmüdes Land
19. Juni 2014Als US-Offizier Pierre Hines vor fünf Jahren den Irak wieder verließ, glaubte er, dass das Land bald befriedet sei. Wenn er heute den Fernseher anschaltet, weiß er, dass er falsch lag. "Es ist extrem verstörend", sagt der Veteran und meint die Bilder aus den besetzten Städten im Norden des Landes. "Ich kann nicht glauben, wie schnell sich die Situation vor Ort verschlechtert hat."
Der 28-Jährige sitzt auf einer Parkbank am Sherman- Square in Washington, D.C. Die Grünanlage am Weißen Haus ist nur wenige Blocks von seinem Arbeitsplatz entfernt. Hines studiert inzwischen an der renommierten Georgetown-Universität Jura und macht gerade ein Praktikum in einer Anwaltskanzlei. Eigentlich hatte er sein Soldatenleben 2012 mit dem Austritt aus der Armee hinter sich gelassen. Das glaubte er. Doch die Nachrichten aus dem Irak über den schnellen Vormarsch der islamistischen Gruppe ISIS, bringen alte Erinnerungen hoch. Vor allem Bilder aus Mossul.
In der zweitgrößten Stadt des Landes, die von ISIS kontrolliert wird, war Pierre Hines stationiert. Als Nachrichtendienst-Offizier lebte er ein Jahr lang im Camp Marez am Flughafen von Mossul. Von dort aus leitete er Einsätze und war mit einheimischen Übersetzern in Kontakt. Vor allem um die macht Hines sich nun Sorgen. Wenn er noch Soldat wäre, würde er zwar ohne zu Zögern wieder in den Irak gehen, wenn er dorthin abkommandieren würde. "Doch als Zivilist, der ich jetzt bin, mache ich mir Sorgen darüber, wie lange eine neue US-Mission dauern würde."
Zweifel an einer "narrow mission"
Hines spricht aus Erfahrung. Als die USA im Jahre 2003 in den Irak einmarschierten, handelte es sich um eine sogenannte "narrow mission": einen auf eng abgesteckte Ziele ausgelegten Einsatz. Der Plan der Bush-Regierung lautete, den irakischen Diktator Saddam Hussein zu stürzen und die angeblich vorhandenen Massenvernichtungswaffen des Landes zu zerstören. Hines war damals noch auf der High-School. Als er vier Jahre später zur Armee ging, waren die USA immer noch im Irak. Sollte nun eine neue Offensive starten, könnte sie wieder Jahre dauern.
Ähnliche Sorgen plagen Tarsha, die auch gerade am Tecumseh-Square die Nachmittagssonne genießt. Ihren Nachnahmen möchte die 41-Jährige nicht nennen, denn ihr Mann ist in der Armee. "Deshalb mache ich mir ernsthafte Gedanken, ob er wieder losgeschickt wird. Zweimal war er bereits im Irak und jedes Mal hatte ich große Angst um ihn." Entspannen könne sie sich daher derzeit nur selten, sagt sie.
Etwas beruhigt fühlte sich Tarsha nach Barack Obamas Rede vergangenen Freitag (13.06.2014). Der US-Präsident hatte erklärt, "keine Bodentruppen" in den Irak zu schicken. Anfang dieser Woche verkündete er dann, 275 Soldaten nach Bagdad zu entsenden, um die US-Botschaft zu beschützen. Für einige Bürger wie Jonathan Copeland gilt das schon als Wortbruch. "Natürlich passieren gerade eine Menge schlimmer Dinge im Irak", sagt der 39-jährige Koch. "Aber ich glaube nicht, dass man sie lösen kann, indem man in den Krieg zieht."
Kein weiterer auszehrender Krieg
Laut einer Umfrage des Pew Research Centers vom Dezember 2013 sagen 52 Prozent der US-Bürger, dass ihr Land sich lieber um interne Probleme kümmern solle. Nur 38 Prozent sind dafür, bei Konflikten in anderen Ländern einzugreifen. Das ist der niedrigste Wert, der jemals in der Studie gemessen wurde - seit ihrer Einführung im Jahre 1964.
Auch Kathy Lush hat ihre Meinung in Sachen Irakkrieg geändert. 2003 hatte die Anwältin noch Außenminister Colin Powell Glauben geschenkt, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besitze. "Ich dachte, wir müssen da hinein", sagt sie. Heute sei sie sich nicht mehr sicher. Sie misstraut den Politikern. "Ich habe das Gefühl, zu wenig von unserer Regierung über die Lage informiert zu werden und das ermüdet mich." Die Lage im Irak wirke chaotisch. Gleichzeitig sei die Eskalation im Lande ein Hohn für die fast 4500 Soldaten, die während des Irak-Krieges gefallen seien. "Wenn wir nichts tun, dann sind sie doch umsonst gestorben.", sagt Lush.
Luftschläge als Alternative
Als Alternative zur Entsendung von Soldaten sehen viele US-Bürger Luftschläge an, bestenfalls unter Einsatz von unbemannten Flugzeugen. Am Mittwoch (18.06.2014) bat die irakische Regierung die USA, sie mithilfe von Luftangriffen zu unterstützen. Pierre Hines hat früher als Soldat bereits mit Drohnen gearbeitet. Er nutzte die ferngesteuerten Flugkörper, um das Gelände rund um Mossul zu überwachen. Der Irak-Veteran hat jedoch Zweifel, wie effektiv man mit Waffen gespickte Drohnen in Großstädten wie Mossul einsetzen kann. "Die Polizei-Station, die in der Hand der Rebellen ist, liegt mitten in der Stadt", sagt der ehemalige Nachrichtendienst-Offizier. "Und auf der anderen Straßenseite stehen Häuser von Familien. Zwar wird berichtet, dass viele Zivilisten geflohen sind. Aber wenn man Drohnen so nah an Häusern einsetzt, muss man einfach aufpassen, dass wir nicht mehr Schaden anrichten als Hilfe leisten." Das letzte, was die USA jetzt bräuchten, wären zivile Opfer. Das spiele nur in die Hände der Extremisten.
Auch US-General Martin Dempsey schätzt die Lage derzeit als zu chaotisch ein, um Luftangriffe zu starten. Dennoch: Am Donnerstag erklärte Obama die Bereitschaft zu "gezielten und präzisen Militäraktionen". Wann und wo diese durchgeführt werden könnten, ließ er zunächst offen.