Die ungelösten Probleme Usbekistans
15. Mai 2005Für den usbekischen Präsidenten Islam Karimow steht fest: Radikale Islamisten haben den Aufstand in Andischan organisiert. Es seien die gleichen Verdächtigen aus dem Umfeld der verbotenen Partei Hizb ut-Tahrir, die bereits den Umsturz im benachbarten Kirgisien organisiert hätten, meint er. Hisb-ut-Tahrir kämpft für einen islamischen Gottesstaat. Die Provinz Andischan gilt zwar seit langem als Hochburg radikaler Islamisten, aber der Unmut ist nicht nur religiös motiviert.
Armut
Gerade im Fergana-Tal, in dem Andischan liegt, sind die wirtschaftlichen Bedingungen hart: Das Tal ist mit sieben Millionen Bewohnern die am dichtesten besiedelte Region in Zentralasien. Es gehört größtenteils zu Usbekistan, erstreckt sich aber auch auf das Territorium von Kirgisien und Tadschikistan. Vom Fergana-Tal führt nur eine einzige Hauptstraße zur knapp 300 Kilometer entfernten usbekischen Hauptstadt Taschkent.
Jeder dritte Erwachsene in der Region ist arbeitslos, der Monatslohn beträgt im Durchschnitt 25 Dollar. Der Islamismus genießt in der Region großen Rückhalt. Die verbotene Hizb ut-Tahrir hat hier ihren Ursprung, ebenso wie die Islamische Bewegung Usbekistans (IMU), die in den 1990er Jahren mehrere Anschläge verübt haben soll. In der kirgisischen Stadt Osch, die ebenfalls im Fergana-Tal liegt, hatte im März die Revolution ihren Ausgang genommen, die Kirgisiens Präsidenten Askar Akajew zu Fall brachte.
Auslöser für die Gewalt in Andischan war ein umstrittener Strafprozess gegen 23 wohlhabende Geschäftsleute, denen enge Verbindungen zu einer islamistischen Terrororganisation zur Last gelegt werden. Die Beschuldigten bestreiten dies. Angebliche Verwandte und Freunde der Angeklagten raubten Waffen aus einer Kaserne und erzwangen damit die Freilassung der Inhaftierten sowie tausender weiterer Häftlinge aus dem Gefängnis. Über Tage hatten zuvor tausende Menschen im Zentrum von Andischan gegen den Prozess protestiert und den Rücktritt der Staatsführung in Taschkent gefordert.
Altlasten
Russland war sehr rasch nach Beginn der Unruhen in Usbekistan zur Stelle, um den Aufstand zu verurteilen. In einem Telefongespräch versicherten sich Karimow und der russische Präsident Wladimir Putin gegenseitig ihre "Beunruhigung" über die "Destabilisierungsversuche in Zentralasisen". Immerhin hat Moskau in den vergangenen eineinhalb Jahren durch die Bürgerrevolutionen in Georgien, der Ukraine und Kirgisien bereits drei Verbündete aus Sowjetzeiten verloren.
Auch Islam Karimow ist ein solcher Veteran der Sowjetära. Seit der Unabhängigkeit Usbekistans 1991 führt er die Ex-Sowjetrepublik mit mit Repressionen statt mit Reformen. Dabei redet der 67-Jährige, der nicht nur der russischen Regierung, sondern auch den USA als enger Verbündeter gilt, gerne von der Gefahr des Islamismus, um jegliche Opposition in seinem Land zu unterdrücken. Karimow propagiert einen gemäßigten Staatsislam. Politische Gegner werden entweder ins Exil getrieben oder verschwinden im Gefängnis. Nach Schätzungen von Amnesty International sitzen derzeit 8000 Regimegegner in Gefängnissen. Die Menschenrechtsorganisation wirft der Regierung Folter und Misshandlungen von Häftlingen vor. Die meisten unabhängigen Zeitungen wurden geschlossen.
Unterdrückung
Die ständigen Repressionen und Karimows autoritärer Führungsstil sind ebenfalls ein Grund für den Aufstand in Andischan. "Die Menschen sind einfach aufgebracht, weil das Justizsystem in ein Strafsystem des Staates verwandelt worden ist", sagt Saidschahon Sainobidinow von der Menschenrechtsorganisation "Apeljazija". "Die Aufständischen wollen Gerechtigkeit und ein normales Leben."
Auch David Lewis von der kirgisischen Filiale der Denkfabrik International Crisis Group ist der Meinung, dass "das Ganze wie eine Bewegung aus einer allgemeinen Wut auf die Regierung aussieht". Allerdings dürfe niemand erwarten, dass aus einer Region wie dem Fergana-Tal eine demokratische Revolution wie in Georgien oder der Ukraine hervorgehen werde. Tatsächlich sei eher eine "islamistische" Revolution zu erwarten.
Islamismus
Die reale Gefahr eines radikalen Islamismus für Staat und Gesellschaft in Usbekistan ist umstritten. Kritiker behaupten, die autoritäre Führung schaffe sich durch ihre Unterdrückungsmaßnahmen erst jene Feinde, die sie dann bekämpfe. "Karimows Erklärungen zur Gefahr des Islamismus sind keine reine Paranoia", sagt der unabhängige Journalist Sergej Ejkow, der in der usbekischen Hauptstadt Taschkent arbeitet. "Diese Bedrohung gibt es, aber die Machthaber und ihr Verhalten treiben die Bevölkerung diesen Organisationen auch zu. Wer keine Arbeit hat und keine Gerechtigkeit findet, für den wird die Idee eines 'islamistischen Kommunismus', wie sie die Hizb ut-Tahrir propagiert, überaus attraktiv." Es wird vermutet, dass es enge Verbindungen zwischen den extremistischen Gruppen und der mächtigen Drogenmafia im Land gibt.
Ein islamistisch motivierter Umsturz würde jedoch die gesamte Region in eine wackelige Lage bringen, warnt Alexej Malaschenko von der Carnegie Foundation in Moskau. "Wenn er Brand einmal gelegt ist, wird er auch auf den Nordkaukasus übergreifen." Damit wären die Unruherepublik Tschetschenien und das benachbarte Dagestan gefährdet. Schon gewinnen radikale Islamisten hier an Boden. "Russland hat gar keine andere Wahl, als Karimow zu unterstützen", sagt Malaschenko. "Die Zeit drängt: Die sozialen Probleme müssen gelöst und eine weltlich orientierte Opposition muss zugelassen werden." (arn)