Das Instrument gegen Landraub
12. Juni 2013Wenn in Sierra Leone wieder ein Dorf ausstirbt, dann bricht es Joseph Rahall fast das Herz: Denn kaufen Investoren die Felder für ihre riesige Plantagen auf, dann verlieren die Bewohner ihre Lebensgrundlage und gehen bald nur noch zum Schlafen ins Dorf, erzählt der Umweltaktivist. Wenn sie Glück haben, dann fänden sie Arbeit bei Verwandten in einem anderen Dorf. Vielen versuchen ihr Glück auch in der Stadt, aber dort ist die Armut und Arbeitslosigkeit hoch. Rahall zuckt die Schultern: Zurück bleiben dann die verwaisten Dörfer - und die riesigen Palmölplantagen, die die Felder der Bauern verschlungen haben. "Dann können die Menschen dort nicht mehr hingehen, um zu jagen und Pflanzen anzubauen, oder Feuerholz zu holen. Das Land gehört ihnen nicht mehr!"
"Land grab" - Landraub, so nennen Experten den Prozess, wobei meist ausländische Investoren einheimische Bauern oder Fischer von ihren Feldern, Seen und Flüssen vertreiben. Seit dem Jahr 2000 sind nach Angaben von Entwicklungsminister Dirk Niebel rund 50 Millionen Hektar Land durch Verkauf oder Verpachtung an ausländische Investoren gegangen. Solche Investitionen könnten durchaus sinnvoll für die Entwicklung eines Landes sein, "sie dürfen aber nicht dazu führen, dass Menschen ihrer Rechte beraubt werden: Dass die Menschen vor Ort verhungern, während vor ihren Augen Lebensmittel in Biokraftstoffe für den Export produziert werden."
Wie wirksam sind die Richtlinien?
Vor einem Jahr hat die UN nach einer dreijährigen Diskussion ein Instrument geschaffen, um solche Landnahmen zu verhindern: Die "Freiwilligen Leitlinien zur verantwortungsvollen Verwaltung von Boden- und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern". Dort sind detaillierte Mindeststandards für Investitionen festgelegt, etwa die Partizipation von Betroffenen oder wie Rechte indigener Bevölkerungen gewahrt und Korruption verhindert werden kann. "Das Dokument leistet einen wichtigen Beitrag für all die Menschen, die für ihre Rechte kämpfen", sagt David Nabarro, Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen für Ernährungssicherheit und Ernährung: Damit würden Klein- und Kleinstbauern unterstützt, die für die Rechte kämpfen.
Das sieht Mary Mubi ähnlich. Die Gesandte der Republik Simbabwe bei der UN-Ernährungsorganisation FAO in Rom hat an dem Dokument mitgearbeitet. Allerdings hält sie das Dokument für "ziemlich einschüchternd" für all diejenigen, die nicht wie sie, über Jahre hinweg einzelne Paragraphen diskutiert und ausgearbeitet haben. Die Leitlinien müssten "vereinfacht und erklärt" werden. Nur so könnten Aktivisten, aber auch Dorfbewohner und Fischer, sich ihrer Rechte bewusst werden.
Das freiwillige Instrument
Andere bezweifeln, dass durch diese Richtlinien viel erreicht werden kann, denn die Richtlinien sind freiwillig. Ob Regierungen sie umsetzen und anwenden, hängt ganz von ihnen ab. Ein Aktivist aus Bolivien, der seinen Namen nicht nennen möchte, ist skeptisch: Sein Land habe Gesetze, die die Landnahmen verhindern sollen. Doch im Amazonas kauften brasilianische und argentinische Unternehmen die Wälder auf, um Soja und Zuckerrohr anzubauen - oft mit der Billigung von korrupten Regierungsbeamten, sagt der Umweltschützer. Da würden weitere Richtlinien wohl nur wenig bringen.
Rahall aber ist überzeugt, dass Aktivisten wie er mit Hilfe der Richtlinien Druck auf ihre Regierungen ausüben können. Zusammen mit anderen Umweltaktivisten und Menschenrechtlern hat er ein Netzwerk geschaffen: Über lokale Radiosender und Dorfversammlungen wollen sie Menschen in Sierra Leone darüber aufklären, dass sie ein Recht auf ihre Länder haben. Denn wie in vielen anderen Ländern, fehlt es in Sierra Leone oft an Dokumenten, die beweisen, dass sie ein Anrecht auf die Flächen haben. Oft würden lokale "Chiefs", also Stammesführer, Nutzungsrechte verteilen. SLIEPA, eine staatliche Agentur, die Investitionen und Exporte fördern soll, bringe oft Vertreter von ausländischen Investoren und die Chiefs zusammen, ohne jedoch den Prozess zu überprüfen. Er fürchtet, dass die Chiefs manipuliert würden, um Druck auf die Dorfbewohner auszuüben, ihr Land zu verkaufen.
Umweltschäden und Arbeitslosigkeit
Es seien vor allem indische und europäische Investoren, die das Land aufkaufen, um Zuckerrohr- und Palmölplantagen anzubauen, erzählt Rahall. Seit 2008 beobachtet er das Phänomen: Damals trieb die Welternährungskrise die Preise für Lebensmittel in die Höhe und ausländische Investoren, aber auch Regierungen, begannen in Nahrungsmittel und Biokraftstoffe zu investieren. Hinzu kommen die Investitionen in Boden, die seit der Finanzkrise als sichere Geldanlage gesehen werden. Seit kurzem drängten auch chinesische Firmen ins Land, sagt Rahall: Er habe gerade von befreundeten Aktivisten gehört, dass ein Unternehmen plane, tausende Hektar Fläche aufzukaufen.
Mit großen Folgen: Im südlichen Pujehun District würden nur noch etwa sechs Prozent des Bodens für Lebensmittel bewirtschaftet. Auf den restlichen Flächen ragen Palmölplantagen in die Höhe: "Wenn die Plantagen erstmal zwei, drei Meter in die Höhe gewachsen sind, dann sieht man genau, was für Auswirkungen die Monokulturen auf die biologische Vielfalt haben - und was für riesige Flächen sie einnehmen." Hinzu kommt die Umweltverschmutzung durch die Düngemittel: In einem Dorf, in der Nähe einer Plantage, die von einem Unternehmen aus Luxemburg betrieben wird, seien viele Menschen an Durchfall erkrankt, einige ältere Dorfbewohner sogar gestorben.
Deshalb, sagt Rahall, müsse die Umsetzung der Richtlinien so bald wie möglich verbindlich erfolgen: "Wenn wir noch länger warten, dann werden noch mehr Flächen zerstört!" Er schüttelt den Kopf: All das breche ihm das Herz.