Wird die Ukraine Mitglied der NATO?
20. März 2014Eine aktive Waffenhilfe zugunsten Kiews kann ausgeschlossen werden. Daran ließ US-Präsident Barack Obama unlängst in einem Interview mit dem US-Sender NBC keinen Zweifel: "Wir werden in der Ukraine nicht militärisch eingreifen."
Aber auch ohne direkte Unterstützung durch Soldaten könnte der Westen die Ukraine im Konflikt mit Russland militärisch stärken. Etwa durch die Aufnahme in das Nordatlantische Verteidigungsbündnis NATO. Einer solchen Mitgliedschaft steht jedoch ein ukrainisches Gesetz aus dem Jahr 2010 entgegen, demnach das Land sich keinem Militärbündnis anschließen darf. Zudem betonte der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk auch nach der de-facto-Annexion der Krim durch Russland mehrfach: "Die Frage eines NATO-Beitritts steht nicht auf der Agenda. Um das Land zu verteidigen wird es eine starke und moderne ukrainische Armee geben."
Zusammenarbeit mit der NATO gibt es schon
Trotzdem gibt es zahlreiche Verbindungen zwischen dem Nordatlantischen Bündnis und der Ukraine: Unter anderem ist die Ukraine Mitglied im NATO-Programm "Partnership for Peace", mit dem die militärische Zusammenarbeit zwischen den NATO-Mitgliedern und 22 anderen Staaten gestärkt werden soll. Auf dieser Basis beteiligt sich die ukrainische Armee regelmäßig an Operationen des Bündnisses. So stellt Kiew beispielsweise fast 30 Soldaten für den von der NATO-geführten ISAF-Einsatz in Afghanistan. Darüber hinaus gibt es seit 1997 die NATO-Ukraine-Kommission, die vorhandene Verbindungen ausbauen soll und gemeinsame Aspekte in der Sicherheitspolitik berät.
Auch einzelne Mitglieder der NATO pflegen militärische Beziehungen zur Ukraine. Das britische Militär beispielsweise hält trotz der Spannungen zwischen Russland und der Ukraine an einem seit langem geplanten multinationalen Manöver fest. Nahe der Grenze zu Polen würden bei der ukrainischen Stadt Lwiw, dem ehemaligen Lemberg, insgesamt 1300 Soldaten gemeinsam üben, schreibt die britische Zeitung "The Guardian". Die meisten Truppen kämen aus den USA.
Pläne für eine multinationale Brigade
Unter dem Eindruck der Krim-Krise geht das polnische Verteidigungsministerium noch einen Schritt weiter. Es wolle Pläne für eine multinationale Militärbrigade unter Beteiligung Litauens und der Ukraine vorantreiben, schrieb die Zeitung "The Telegraph". Gegenüber der Deutschen Welle gab der österreichische Politologe Gerhard Mangott diesem Vorhaben keine Erfolgschancen: "Das wäre ein Beitritt zur NATO durch die Hintertür. Denn würden Mitglieder dieser multinationalen Brigade aus Litauen und Polen in eine Kriegshandlung mit russischen Streitkräften kommen, wäre das Nordatlantische Bündnis verpflichtet, Polen und Litauen zur Hilfe zu kommen. "
Der ehemalige deutsche NATO-General Egon Ramms teilte im Gespräch mit der DW diese Ansicht nicht ganz. Der Bündnisvertrag verpflichte keinen Mitgliedsstaat zum militärischen Handeln. Die NATO würde bei einem Angriff zwar reagieren, "aber die einzelnen NATO-Mitglieder entscheiden souverän, ob sie sich an einer solchen Reaktion beteiligen oder nicht beteiligen. Der Begriff Beistandsverpflichtung beschönigt den Sachverhalt. Eine zwingende Verpflichtung, sich militärisch zu beteiligen, gibt es nicht." Gleichwohl seien ehemalige Ostblock-Länder NATO-Mitglieder geworden, um in der Nordatlantischen Allianz geschützt zu werden.
Brigade als Keimzelle der NATO-Mitgliedschaft?
Ramms, der zweieinhalb Jahre das im polnischen Stettin stationierte multinationale Korps Nordost kommandierte, sieht in dem Vorstoß aus Warschau vor allem ein Signal an Moskau für engere militärische Zusammenarbeit. "Aber eine solche multinationale Brigade hätte keine Funktion und keine Rolle mit Blick auf eine NATO-Mitgliedschaft. Sie kann jedoch eventuell zu einem späteren Zeitpunkt eine NATO-Mitgliedschaft erleichtern."
Gemeinsame militärische Einheiten könnten helfen, den schlechten Ausrüstungsstand der ukrainischen Armee zu verbessern. Die Streitkräfte müssten vor einem NATO-Beitritt modernisiert werden - so wie es auch Ministerpräsident Jazenjuk will. Der Westen werde bei der Neuausrüstung voraussichtlich helfen, sagt Professor Mangott: Es könne unterhalb der Beitrittsschwelle eine militärische Annährung geben, damit die Truppen der NATO und der Ukraine künftig zusammenarbeiten können. Das würde eine "erhebliche technische und finanzielle Hilfe für die Ukraine bedeuten. Das ist nur ein langfristig denkbares Programm".
Experten: Westen muss handeln
Dass es so kommt, da ist sich Mangott sicher, denn es stehe auch das Ansehen des Nordatlantischen Bündnisses auf dem Spiel: "Der Westen muss sich fragen, ob er das Glaubwürdigkeitsdilemma der NATO höher einstuft - nämlich die Ukraine nicht näher an sich heranzuführen - oder ob er eine Verschärfung des Konflikts mit Moskau verhindern will. Im Augenblick sehe ich das eher so, dass die NATO den ersten Weg beschreiten wird."
Der ehemalige General Ramms sieht ebenfalls den Westen unter Handlungsdruck. Immerhin gelte seit Jahren die sogenannte Medwedew-Doktrin. Der nach dem ehemaligen russischen Präsidenten Dimitri Medwedew benannte politische Leitfaden erlaubt den russischen Streitkräften grundsätzlich, eigene Bürger auch im Ausland zu schützen. Genau auf diesen Passus des insgesamt 116 Punkte umfassenden Papiers bezog sich Präsident Wladimir Putin, als er die Krim Russland einverleibte. "Bis vor drei oder vier Wochen hat sich im Westen über diese Doktrin keiner Gedanken gemacht", moniert Ramms.
Der Ex-Militär rät zwar von einem schnellen NATO-Beitritt der Ukraine ab. "Letztendlich kann Putin oder kann Russland, wenn die Ukraine so entscheidet und die NATO-Mitglieder entsprechend zustimmen, der Ukraine eine Mitgliedschaft in der NATO nicht verwehren. Wie Polen, wie Rumänien oder wie die Baltischen Staaten wird die Ukraine das machen, um unter den Schutz der NATO zu gelangen", ist Ramms überzeugt.