Streit zwischen Serbien und Albanien
20. Oktober 2014Aleksandar Sekulić kennt auch ruhigere Arbeitstage. Seit letzter Woche reist der junge Menschenrechtsaktivist quer durch Serbien, überallhin, wo es gezielte Übergriffe gegen von Albanern geführte Ladenlokale gab. Im Norden Serbiens wurden bisher mindestens ein Dutzend Bäckereien und Imbisse zerstört oder in Brand gesetzt, bei einem dieser Angriffe wurde sogar eine Bombe verwendet. Auch eine Moschee wurde zur Zielscheibe serbischer Nationalisten. "Es ist reines Glück, dass niemand ums Leben gekommen ist", sagt Sekulić, der in der Belgrader Nichtregierungsorganisation Jugendinitiative für Menschenrechte tätig ist. Die serbische Regierung und die Zivilgesellschaft verurteilten die Übergriffe, einige mutmaßliche Täter sind auch verhaftet worden.
Schuld sind immer die anderen
Auslöser der erneut aufkeimenden Spannungen zwischen Serben und Albanern war das Qualifikationsspiel zur Fußball-Europameisterschaft, das vergangene Woche in Belgrad abgebrochen wurde. Es entstand Chaos, nachdem eine per Fernsteuerung gelenkte Drohne im Stadion auftauchte, an der eine Fahne mit einer Abbildung der Umrisse "Großalbaniens" befestigt war. Dieses von albanischen Nationalisten erträumte Land würde auch Kosovo und Teile Serbiens, Mazedoniens, Montenegros und Griechenlands umfassen. Das Auftauchen der Fahne war ein Signal für die serbischen Rowdys, auf den Spielplatz zu stürmen und die albanischen Spieler anzugreifen. Seitdem zieht in ein wütender Nationalismus auf beiden Seiten Kreise,die Flaggen "der Feinde" werden verbrannt, im Internet verbreiten sich Aufrufe zum Völkermord - auch bei der DW gingen entsprechende Leserkommentare ein. In Wien gab es sogar eine Massenschlägerei zwischen Angehörigen der beiden ethnischen Gruppen.
Wie so oft in der Vergangenheit wird auch diesmal auf beiden Seiten die Schuld für die Eskalation beim jeweils anderen gesucht. "Die albanische Öffentlichkeit ignoriert die Tatsache, dass man 'großalbanische Symbole' nicht in Schutz nehmen sollte. Auf der anderen Seite, in Serbien, werden die rassistischen Aufrufe im Stadion und die Gewalt gegen Albaner allein mit dem Fahnenangriff gerechtfertigt", sagt Sekulić im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Medien gegenüber gossen auch die Politiker beider Seiten zusätzliches Öl ins Feuer. Der serbische Präsident Tomislav Nikolić behauptete, Albaner generell seien Serbenhasser und würden es noch Jahrhunderte bleiben. Der albanische Premierminister Edi Rama hingegen meinte, die Serben hätten sich wieder einmal als notorische Nationalisten und Rassisten bewiesen.
Besuch vorerst geplatzt
Ausgerechnet in eine derart angeheizten Atmosphäre fiel der für den 22. Oktober geplante Serbien-Besuch von Ramas. Doch das seit langem geplante bilaterale Treffen - das erste seit 68 Jahren - wurde kurzerhand verschoben. Als neuer Termin wurde der 10. November anberaumt. Die Zusammenkunft der Premierminister wurde im Vorfeld als eine wichtige Chance für die Annäherung der beiden Völker bewertet. Nun scheint diese Hoffnung zunächst zerschlagen.
In Brüssel kritisierte man die Entwicklungen nach dem Skandalspiel vorsichtig und generell. Der deutsche Europaabgeordnete David McAllister (CDU) sagte der DW mit Blick auf die Region, die Versöhnung müsse die ganzen Gesellschaften und Völker umfassen. "Ich hoffe, dass solche Bilder nicht mehr vorkommen", sagte McAllister, der jüngst im EU-Parlament die Rolle des Berichterstatters für Serbien übernommen hat.
Es geht um Kosovo
Eigentlich haben die EU-Beitrittskandidaten Serbien und Albanien keine unüberwindbaren zwischenstaatlichen Probleme. Die Feindseligkeit entsteht vielmehr wegen vehement entgegengesetzter Interessen rund ums Thema Kosovo. Der jüngste Staat in Europa erklärte 2008 einseitig seine Unabhängigkeit von Serbien und wird mittlerweile von mehr als 100 Staaten anerkannt, darunter 23 EU-Länder. Die Regierung in Belgrad will einerseits die Souveränität der ehemaligen Provinz nicht anerkennen, andererseits akzeptiert sie "die Realität", wie es die Machthaber in Serbien gerne formulieren. Diese Realität kombiniert mit dem Druck aus Brüssel führte dazu, dass Belgrad und Priština mehrere Abkommen schlossen.
"Die jüngsten Ereignisse beweisen, dass die unterzeichneten Papiere ein guter erster Schritt sein können, auf keinen Fall aber das Ende des Normalisierungsprozesses darstellen“, meint Iliriana Kaçaniku von der "Kosovo Stiftung für eine offene Gesellschaft". Seit dem Krieg, der mit der Unterdrückung der Albaner durch das Milošević-Regime begann und mit der Bombardierung Serbiens seitens der NATO mit Hunderten von Zivilopfern sowie dem Rückzug der serbischen Truppen aus Kosovo ein Ende fand, sind 15 Jahre vergangen. Seither, so Kaçaniku im DW-Gespräch, sei viel geredet worden, aber nur wenig getan. "Die führenden Politiker der Region sind unfähig, in die Zukunft zu schauen. Mit der alten Denkweise kann man ein modernes europäisches Land nicht ausbauen", meint sie.
Populismus noch gefragt
Heute regieren in Belgrad und Priština die ehemaligen Feinde: Der serbische Premier Aleksandar Vučić wetterte Ende der Neunziger Jahre gegen die Albaner und übte als Informationsminister Zensur aus und betrieb Staatspropaganda. Der kosovarische Regierungschef Hashim Thaçi war Führer der paramilitärischen Befreiungsarmee des Kosovo (UCK), die für etliche Kriegsverbrechen gegen Serben verantwortlich sein soll. Beide präsentieren sich heute als Europabefürworter, verzichten bei ihren öffentlichen Auftritten aber nicht auf populistische Parolen. Ähnlich macht es auch Edi Rama in Albanien. "Nationalistische Rhetorik wird weiter angeboten, weil die Bürger diese immer wieder kaufen. Und die Medien helfen bei der Transaktion", schlussfolgert Kaçaniku.
Der serbische Menschenrechtler Sekulić glaubt, die EU-Annäherung allein werde das Problem nicht lösen. "Brüssel scheint zufrieden damit zu sein, dass Serben und Albaner sich gegenseitig nicht umbringen." Die neubesetzte EU-Kommission hat schon angekündigt, in den nächsten fünf Jahren keine neuen Mitglieder in die Union aufzunehmen. Auch deswegen solle man nicht immer auf Impulse von draußen warten, so Sekulić. "Der Nationalismus hat auf dem Balkan in den letzten Jahrzenten Hunderttausende Tote, Vertriebene und Leidende hinterlassen. Es ist daher unsere Pflicht, sich ihm zu wiedersetzen und ihn zu bekämpfen." Einfach sei das aber nicht, betont der junge Menschenrechtsaktivist, und es werde lange dauern.