"Die Stimme der afghanischen Frau"
25. Januar 2005Aller Anfang ist schwer. Das weiß auch Dschamilah Mudschahed, die Chefredakteurin von Radio "Sada-ye Zane Afghan", zu Deutsch "Die Stimme der afghanischen Frau". "Doch irgendjemand muss den Anfang machen", sagt sie tapfer. "Sada-ye Zane Afghan", ein Radiosender, der von Frauen für Frauen gemacht wird, ist ein Novum in Afghanistan. Einzelne Sendungen für Frauen gab es zwar auch vor der Taliban-Zeit, aber einen eigenen Frauensender gab es noch nie.
Aufklärung und Bildung
"Die afghanischen Frauen waren und sind in unserer Gesellschaft immer benachteiligt gewesen. Wir wollen ihnen durch unser Radio mitteilen, dass auch sie über Rechte verfügen", erklärt Dschamilah Mudschahed, "die meisten afghanischen Frauen wissen doch gar nicht, dass sie wie die Männer Teil der Gesellschaft sind." Dschamilah Mudschahed, eine bekannte Frauenrechtlerin in Afghanistan, will nicht polarisieren, sondern aufklären. Sie weiß, wie empfindlich die meisten afghanischen Männer reagieren, wenn es um ihre Frauen geht. Anonyme Drohbriefe und Anrufe erreichen sie täglich.
Doch Dschamilah Mudschahed ist kein Mensch, der sich einschüchtern lässt. "In unserem Land," sagt sie, "kommt es vor, dass sich junge Mädchen verbrennen, weil sie zwangsverheiratet werden." Der Radiosender nur für Frauen ist das Sprachrohr, um gegen diese gesellschaftliche Missstände anzukämpfen. "Sada-ye Zane Afghan" wendet sich deshalb nicht nur an die Frauen, sondern auch an die Männer, damit sie ihre Ehefrauen, Schwestern und Töchter besser verstehen lernen. "Wir werden über Gewalt in der Ehe und Wege zeigen, wie Mann und Frau miteinander friedlicher leben können", sagt Dschamilah Mudschahed. "Außerdem wird unser Radio Lernsendungen für Analphabetinnen anbieten."
Ein Radio haben alle
Über 90 Prozent der Frauen in Afghanistan können nicht lesen und schreiben. 23 Jahre Krieg und die Taliban-Herrschaft haben ihre Spuren hinterlassen: Schleierzwang, Schließung von Mädchenschulen, vorgeschriebene männliche Begleitung in der Öffentlichkeit - dies waren nur einige der massiven Maßnahmen zur Unterdrückung der Frauen, deren Rechte auch zuvor schon eingeschränkt waren.
Deshalb plant "Sada-ye Zane Afghan" in Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium Fernunterreicht per Rundfunk für Frauen. Der Unterricht soll unter anderem durch aufgeklärte Mullahs erfolgen. Die Idee: Sie sollen den Zuhörerinnen anhand religiöser Quellen erklären, dass es nicht Gottes Wille ist, wenn Frauen unterdrückt werden.
Der erste Frauensender Afghanistans soll aber kein reines Informations- und Bildungsprogramm senden, sondern mit Musik und Unterhaltungssendungen für ein großes Publikum attraktiv machen. Dschamilah Mudschahed und ihre aus neun Mitarbeitern bestehende Mannschaft haben sich bewusst für das Medium Radio entschieden. "Jeder in unserem Land besitzt ein Radio. Es ist billig und kann auch ohne Strom in Betrieb genommen werden", weiß sie. "Über das Radio können wir die meisten Frauen in unserem Land erreichen".
Improvisationsgabe gefragt
Die ersten Versuche, einen Frauensender zu etablieren, scheiterten vor zwei Jahren am fehlenden Geld. Jetzt kann "Sada-ye Zane Afghan" durch eine Start-Hilfe des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) in Kabul und fünf benachbarten Städten empfangen werden. Die Weiterfinanzierung des Frauensenders ist aber auch diesmal nicht gesichert. Dschamilah Mudschahed und ihre Kolleginnen arbeiten ehrenamtlich und hoffen auf Werbeinnahmen. Rund 15.000 Dollar haben bislang einige Unternehmer aus Kabul gespendet, doch das ist bei weitem nicht ausreichend.
Zudem fehlt "Sada-ye Zane Afghan" ein eigenes Gebäude. Zurzeit ist der Sender im Medienhaus "Ayena" untergebracht. Ein einziges Zimmer dient als Besprechungsraum und Sendestudio. Die Beiträge werden stets live gesendet - ein separater Aufnahmeraum fehlt. Viel Idealismus und die zahlreichen positiven Zuschriften, die den Sender erreichen, geben den Radiofrauen Kraft, an ihrem Konzept festzuhalten.
Dschamilah Mudschahed hofft, dass Frauenorganisationen aus aller Welt und große Radiostationen ihrem Sender zur Hilfe kommen. "Und wenn nicht" sagt die mutige Radiofrau von Kabul, "werden wir trotzdem nicht aufgeben. Der Weg vor uns kann nicht schwerer sein, als der, der schon hinter uns liegt."