Die SPD will nach links
7. September 2019"Du hast gesagt, du seiest ein truely Sozialdemokrat", leitet ein Parteimitglied seine Frage an Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz ein. "Ich würde gerne wissen, wieso du als truely Sozialdemokrat in 15 Jahren als Generalsekretär, als stellvertretender Parteivorsitzender, als einflussreicher Bürgermeister es nicht geschafft hast, diese Partei zu retten und vor dem Untergang zu schützen."
Scholz bewahrt Haltung. Als politischer Profi hat er mit so einer Frage gerechnet. Seit einer gefühlten Ewigkeit regiert er mit in Berlin und im Stadtstaat Hamburg. Wie kaum ein anderer hat er den schier unaufhaltsamen Niedergang der SPD vom Beginn bis in die Gegenwart mitgemacht: 1998 zog er in den Bundestag ein, als die SPD über 40 Prozent der Wählerstimmen holte. Heute liegt die SPD in den Umfragen bei 14 Prozent. Auch bei Landtagswahlen geht es nur noch bergab.
Mit einer neuen Parteiführung will man endlich die Kurve kriegen. Sieben Paare und ein Einzelkandidat haben sich dafür beworben und touren nun gemeinsam durch die Republik. Nach Saarbrücken am Donnerstag war Hannover am Freitag die zweite Station, am Samstag war Bernburg an der Saale dran. Olaf Scholz ist wohl der prominenteste unter den Kandidaten.
Beim Paarlauf hapert es
Die provokante Frage des Genossen versucht Scholz mit einem Scherz zu kontern: "Also, schönen Dank für das viele Vertrauen in meine Möglichkeiten." Vor 900 Zuschauern, von denen viele stehen müssen, weil die Stühle nicht ausreichen, versucht er dann, seine politische Vergangenheit in ein vorteilhafteres Licht zu rücken. Zählt auf, was er aus seiner Sicht alles geschafft hat. Überzeugen kann er damit nicht. Das zeigt der verhaltene Applaus an diesem Abend. Auch seine politische Partnerin Klara Geywitz kann daran nichts ändern.
Die Landespolitikerin aus Brandenburg und der Hamburger Scholz wirken hölzern und bleiben blass. Auch als Duo wirken sie noch zu wenig aufeinander eingespielt. Allerdings ist das Format der Kandidaten-Tour auch alles andere als einfach. Nur fünf Minuten hat jedes Team in der Vorstellungsrunde Zeit. In den Fragerunden sind es 60 Sekunden für jede Antwort.
In Hannover unterbricht der Moderator rigoros, wenn die Zeit abgelaufen ist. Das kommt bei den Zuschauern nicht gut an, und so gilt auf der dritten Konferenz am Samstag in Bernburg an der Saale eine neue Regel: Ein angefangener Satz darf nun zu Ende geführt werden. Doch in einem gilt kein Pardon: Keine Veranstaltung soll länger als zweieinhalb Stunden dauern.
Ein Marathon durch die Republik
Bis zum 12. Oktober werden die 15 Kandidaten durch die Republik touren und sich auf 23 sogenannten Regionalkonferenzen den rund 425.000 SPD-Mitgliedern vorstellen. In einem Mitgliederentscheid soll dann beschlossen werden, wer auf dem SPD-Bundesparteitag Anfang Dezember die Nachfolge der zurückgetretenen SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles antreten soll.
Bislang sei es immer so gewesen, dass sich einige wenige aus der SPD-Führung in Hinterzimmern getroffen und dort bestimmt hätten, wer Vorsitzender wird, wer Kanzlerkandidat und wer Minister, sagt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil: "Damit ist jetzt Schluss." Er freue sich, dass die Partei "neue Wege" gehe.
Das Charisma haben die Newcomer
Nach den ersten Casting-Terminen für den vakanten Chefsessel fällt eins am meisten auf: Die vermeintlichen Favoriten tun sich schwer. Wohl auch, weil ein Team die Bühne geradezu souverän beherrscht: Christine Kampmann und Michael Roth. So frisch, unverbraucht, gut gelaunt und optimistisch wirken die frühere SPD-Familienministerin aus Nordrhein-Westfalen und der Staatsminister im Auswärtigen Amt, dass alle anderen Kandidaten daneben alt aussehen.
"Wir stecken voller Begeisterung", ruft die 39-jährige Kampmann dem Publikum in Hannover zu. "Mit uns bekommt ihr 100 Prozent", ergänzt der 49-jährige Roth, der verspricht, seinen Posten in der Bundesregierung aufzugeben, sollten er und Kampmann neue SPD-Vorsitzende werden. Dafür gibt es kräftigen Applaus. "Wir waren die ersten, die das Ende der schwarzen Null gefordert haben, denn wir brauchen mehr Investitionen in Infrastruktur und Bildungspolitik", betont Kampmann in Bernburg. Ein klarer Seitenhieb gegen Bundesfinanzminister Scholz, der mit "auch mit einer soliden Haushaltspolitik geht manches" keine Begeisterung auslösen kann.
Es weht ein linker Wind
Mehr Geld für Rentner, Arme und Menschen, die schlecht verdienen, Schluss mit der Privatisierung von Krankenhäusern, drastische Begrenzungen für Vorstandsgehälter und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer: Je linker die Forderungen der Kandidaten, desto stärker der Applaus der Zuschauer.
Mehr linke Politik wird in einer Regierungskoalition mit CDU und CSU aber nicht durchsetzbar sein. "Hier ist kaum ein Vorschlag gebracht worden, der in der GroKo möglich wäre", sagt der Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach am Ende des Abends in Hannover. Die meisten politischen Forderungen würden doch seit langem schon auf dem Tisch liegen. Lauterbach und seine Mitstreiterin Nina Scheer wollen unbedingt aus der Koalition aussteigen und "für linksgrüne Mehrheiten kämpfen": "Die SPD macht sich unglaubwürdig, wenn sie so weitermacht", sagt Lauterbach.
Das kommt gut an bei den SPD-Zuschauern, die immer wieder klatschen, wenn der Austritt aus der GroKo thematisiert wird. Regierungsmitglied Scholz, der seinen Hut erst nach langem Zögern in den Ring geworfen hat, kann das nicht gefallen. Er würde die SPD gerne in der Bundesregierung halten. Nachdem er am Freitag in Hannover kaum punkten konnte, stellt er sein Konzept am Samstag in Bernburg an der Saale etwas um. Er sei ja nicht Bundesfinanzminister von Beruf, sondern Anwalt für Arbeits- und Sozialrecht, so Scholz. In dieser Funktion habe er sich in Hamburg jahrelang für sozial benachteiligte Menschen eingesetzt.
Die Konkurrenz wird zunehmen
Scholz weiß, dass er nur eine Chance hat, wenn er möglichst viel Sozialdemokratie verkörpert und den Berliner Amts- und Funktionsträger, der er ist, in den Hintergrund treten lässt. Das wird nicht einfach werden. Vor allem nicht, wenn - und davon ist auszugehen - die Kandidaten anfangen, offensiver und damit auch auf Kosten der anderen für sich zu werben.
Noch sind die 15 Genossen recht nett zueinander. Nach zweieinhalb Stunden Casting stehen sie alle nebeneinander, halten sich an den Händen und werfen die Arme gemeinsam empor. So wie Schauspieler, die gerade erfolgreich ein Stück aufgeführt haben und sich dafür feiern lassen. "Ich habe gar nicht so viele Stimmen, wie ich gerne vergeben würde", sagte ein SPD-Mitglied in Bernburg, dem es wohl am liebsten wäre, wenn alle Kandidaten zusammen die SPD anführen würden. Am Ende kann aber nur ein Duo gewinnen.