Die SPD und das verlorene Vertrauen
3. Juni 2019Gefasste Haltung, feste Schritte. Einen Tag nach ihrem Rücktritt überspielt Andrea Nahles ihre Resignation mit einem tapferen Lächeln. "Machen Sie’s gut", sagt die ehemalige Parteivorsitzende am Montag in Berlin und verabschiedet sich von der Presse. Und mit Nahles geht auch ihr Versprechen, die SPD aus ihrem Umfragetief zu holen und von Grund auf zu erneuern.
Denn schon seit einiger Zeit sieht es für die Sozialdemokraten in Deutschland schlecht aus. Bei der letzten bundesweiten Abstimmung, den Europawahlen im Mai, erreichte die SPD mit 15,8 Prozent ihr bisher schlechtestes Ergebnis. Bei den Landtagswahlen in Bremen wurde sie zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr stärkste Kraft. Und auch an der Spitze wackelt es: Außer Sigmar Gabriel hat es seit der Wende kaum ein SPD-Vorsitzender geschafft, länger als fünf Jahre im Amt zu bleiben. Aber worauf basiert der stetige Zerfall der SPD?
Keine klaren Botschaften
"Seit 15 Jahren stellen wir uns die Frage: Was bekomme ich, wenn ich SPD wähle? Und niemand kann sie beantworten", sagt Olaf Böhnke, Analyst bei der politischen Beratungsorganisation Rasmussen Global. Historisch gesehen konnte sich die Partei immer auf die Stimmen der einfachen Arbeiterschaft verlassen. Jahrzehntelang kämpften Sozialdemokraten zusammen mit Gewerkschaften für arbeitsrechtliche Verbesserungen, für mehr Bildung und mehr Teilhabe. Mit Erfolg. Doch heute gehört jeder zweite Deutsche zur Mittelschicht. Die klassische SPD-Wählerschaft ist weggebrochen.
Braucht es die SPD überhaupt noch?
Aber an sozialen Problemen mangelt es auch im modernen Deutschland nicht: Laut Statistischem Bundesamt ist jeder Fünfte in Deutschland von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Gleichzeitig gefährden steigende Mieten die Existenzgrundlage vieler Menschen. Mehr als jeder Zehnte fühlt sich von seinen monatlichen Mietkosten stark belastet. Doch wer in solchen schwierigen Verhältnissen lebt, wählt mittlerweile nicht mehr die SPD, sondern die AfD in Ostdeutschland oder die Grünen im Westen.
"Die SPD hat viel Vertrauen und Glaubwürdigkeit in den zurückliegenden Jahren verloren", erklärt Thorsten Faas, Politikwissenschaftler und Professor an der Freien Universität in Berlin. Besonders in der großen Koalition sei es in den letzten Jahren schwierig gewesen, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. "Hier musste die Partei immer wieder um Sichtbarkeit kämpfen und Kompromisse eingehen", fügt Faas hinzu.
Der Anfang vom Ende?
Genau diese große Koalition von CDU/CSU und SPD scheint für viele der Anfang des ultimativen Abstiegs der Sozialdemokraten zu sein. Dabei hatte es nach der desaströsen Niederlage mit 20,5 Prozent bei den Bundestagswahlen 2017 immer wieder Versuche gegeben, sich innerhalb der Partei neu zu definieren. Zum Beispiel im vergangenen Jahr, als die SPD gestärkt nach der Sommerpause "eine sozialpolitische Offensive" der Bundesregierung forderte. Und dabei gleich die Themen vorgab: Rente, Mieterschutz, Pflege und Mindestlohn. Doch die SPD schafft es nicht, dass Erfolge bei diesen Themen ihr zugeschrieben werden.
Andere bezeichnen die Ära der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder von 1998 bis 2005 als Anfang von Ende. "Seit seinem Ende als Kanzler hat die SPD sehr gelitten", sagt Olaf Böhnke. Besonders umstritten war damals seine Agenda 2010, die den Arbeitsmarkt liberalisierte und Staatsleistungen kürzte. Seitdem habe es die Partei nicht geschafft, "eine Mehrheitsmeinung zu Hartz IV zu vertreten, ob diese Reform gut oder schlecht war", erklärt Böhnke.
Die europäische Linke
Doch die deutschen Sozialdemokraten sind nicht die einzigen, die mit einer schrumpfenden Wählerschaft zu kämpfen haben. In Frankreich kam die Liste der ehemaligen linken Volkspartei "Parti Socialiste" bei der Europawahl auf wenig mehr als sechs Prozent. In Österreich wurde die SPÖ 2017 aus der Regierung abgewählt. Selbst im einstigen sozialdemokratischen Vorzeigeland Schweden schnitt die Arbeiterpartei 2018 mit unter 30 Prozent so schlecht ab wie noch nie.
Dabei sieht Böhnke auch auf europäischer Ebene keinen Mangel an sozialdemokratischen Themen. Aber an der Verkaufsstrategie gegenüber den Wählern müsse gearbeitet werden: "Die politischen Richtlinien funktionieren, sie sind nicht veraltet. Aber es geht es darum, wie man sie verpackt und von wem sie personell in der Partei repräsentiert werden."
Die Personalfrage
Genau vor dieser Personalfrage steht jetzt die SPD. Übergangsweise wird sie von einem Dreiergespann mit Manuela Schwesig, Malu Dreyer und Thorsten Schäfer-Gümbel angeführt. Wie es danach weitergeht, ist offen. Die neue Spitze wird sich dann entscheiden müssen: Für eine Fortsetzung der großen Koalition mit der Union oder einen radikaleren, linkeren Kurs der Partei. Den könnte die Partei glaubhaft allerdings nur aus der Opposition ansteuern. Und wer weiß, vielleicht findet sie dort nach eventuellen Neuwahlen am Ende diesen Jahres ja weitere, linke und grüne Verbündete.