Die Seele von Kulturorten
30. Mai 2014Der deutsche Regisseur Wim Wenders kehrt zurück an den Potsdamer Platz, wo er einst Filmgeschichte schrieb. 1987 drehte er hier sein poetisches Meisterwerk "Der Himmel über Berlin". Für den Dokumentarfilm "Kathedralen der Kultur" entschied er sich, die Philharmonie des Stararchitekten Hans Scharoun zu porträtieren.
Fertiggestellt wurde sie im Jahr 1963. Scharouns Idee war es, erstmals einen Konzertsaal zu schaffen, in dem sich die Bühne mitten im Publikum befindet. Aber Wim Wenders faszinierte noch ein anderer Aspekt: "Die Philharmonie wurde am Potsdamer Platz realisiert, im ehemaligen Zentrum der Stadt, einem nach dem Krieg völlig zerstörten Niemandsland. Während des Baus wurde plötzlich die Berliner Mauer errichtet. Und damit war die Philharmonie für die nächsten Jahrzehnte isoliert. Das macht sie auch historisch so interessant“, sagt der Regisseur.
Neben Wim Wenders haben sich auch fünf weitere verdiente Filmemacher wie Michael Glawogger, Michael Madsen, Robert Redford, Margreth Olin und Karim Ainouz auf die Suche nach der Seele wichtiger Kulturbauten gemacht. Premiere hatte dieses außergewöhnliche Projekt Anfang des Jahres auf der Berlinale - jetzt kommt es in die deutschen Kinos.
Bücher werden Lebewesen
Deutlich älter als die Berliner Philharmonie ist die Nationalbibliothek in St. Petersburg. Das von Yegor Sokolov entworfene Bauwerk wurde 1814 eingeweiht und liegt unmittelbar am Newski-Prospekt. Doch während draußen auf der Prachtstraße das Leben tobt, bewahrt die Nationalbibliothek in ihrem Innern die Gedanken der Welt. Michael Glawogger führt uns mit langsamen Kamerafahrten durch das labyrinthische Gebäude - eine Hommage an die Schönheit der Bücher. Wobei der Regisseur auch ihre Vergänglichkeit betont, indem er Schätze zeigt, deren Papier zu zerfallen droht. Die leeren Lesesäle deuten an, dass die Einsen und Nullen des digitalen Zeitalters die Buchstaben auf Papier ablösen. Für den gerade verstorbenen Österreicher Glawogger war es der letzte vollendete Film: "Wenn man den Büchern mit der 3D-Kamera nahe kommt, dann sieht man selbst den kleinsten Knick, die leichteste Bräunung. Das Alter dieser Objekte wird gegenständlich, greifbar - die Bücher werden Lebewesen", sagte er vor seinem Tod über "Kathedralen der Kultur".
Ausflug in die Unterwelt
Fernab von Hochkultur taucht der dänische Filmemacher Michael Madsen in das norwegische Halden Gefängnis ein. Es wurde vom dänischen Architektenbüro EMA entworfen und vom Time Magazine als "das humanste Gefängnis der Welt" bezeichnet: Es gibt keine Gitter vor den Fenstern, dafür Panoramablicke auf die Natur, vielseitige Sportanlagen und sogar ein Gästehaus, in dem Gefangene gelegentlich mit ihren Familienangehörigen nächtigen können. Vor vier Jahren eröffnet, sitzen hier einige der gefährlichsten norwegischen Verbrecher. Der Film ermöglicht den Zuschauern, einen Raum zu betreten, den die Gesellschaft abgegrenzt und verschlossen hat. Zudem zeigt er, wie Gefangene und Wärter gemeinsam Basketball spielen. Doch trotz aller Bereitschaft, auf die Bedürfnisse der Inhaftierten einzugehen, kommt auch das Halden Gefängnis nicht ohne Isolierzelle aus.
Forschungsgeist animieren
Mit Kultur hat das Salk Institut in La Jolla (Süd-Kalifornien), das Oscar-Preisträger Robert Redford portraitiert, nur am Rande zu tun. 1959 bat der Virologe Jonas Salk (er entwickelte dort den Polio-Impfstoff) den Architekten Louis Kahn, ein Forschungsinstitut zu entwerfen, an dem sich auch der Künstler Pablo Picasso zu Hause fühlen würde. Salk stellte sich eine Art Kloster vor, in dem Wissenschaftler im Einklang mit der Natur arbeiten könnten. Herausgekommen ist ein Gebäude, das völlig geometrisch gebaut ist, mit spitzen, kraftvoll wirkenden Winkeln. Wobei es zwischen den beiden Gebäudehälften einen riesigen offenen Hof gibt, von dem aus der Blick zum Pazifik führt. Redford reflektiert in seinem Film die Frage, ob die außergewöhnliche Architektur eines Bauwerkes die Menschen dazu animieren kann, außergewöhnliche Forschungsarbeit zu leisten.
Eleganz besticht nicht immer
Zwei Filmepisoden wirken etwas fehl am Platz. Das ist zum einen das "Oslo Opernhaus", dem sich Margreth Olin widmete. Ein elegantes neues Bauwerk, das scheinbar aus einem Fjord emporwächst. Aber die Mischung aus Hochkultur und Naherholung ist eigentlich zu wenig, um sie derart zu feiern. Und das Centre Pompidou in Paris ist zwar ein bedeutendes Kulturzentrum für Theater, Kino, Tanz, Lesung und Kunstausstellungen. Aber das Gebäude (1971 bis 1977 von den Architekten Renzo Piano und Richard Rogers erbaut) mit seinen runden Glasgängen und Stahlgerüsten wirkt in seiner Umgebung wie ein Fremdkörper, und im Innern erinnert es an eine Fabrikhalle. Das kann auch Regisseur Karim Ainouz nicht ändern, wenn er mit der Kamera durch die gläsernen Rolltreppenröhren schwebt.
Der Dokumentarfilm "Kathedralen der Kultur" ist der eindrucksvolle Versuch, der Seele eines Bauwerks so nah wie möglich zu kommen. Dazu haben die meisten Filmemacher den Kommentar ihres Films aus der Perspektive des jeweiligen Gebäudes gesprochen. Eine interessante Herangehensweise, die den Architekturwerken ein emotionales Eigenleben schenkt. Schließlich formen Menschen Bauwerke, aber diese formen auch uns.