Schweinegrippe in den USA
5. November 2009Bei mir hat es ganz klassisch angefangen, mit Halsschmerzen. Es folgten Kopfschmerzen, leichte Übelkeit und dann: Fieber. Der Arzt hatte schon am zweiten Tag "Flu", also Grippe, diagnostiziert. Aber das sagt eigentlich gar nichts, denn "Flu" heißt hier in den USA so ziemlich alles, von einem heftigen Schnupfen über den grippalen Infekt bis hin zur "richtigen" Virusgrippe.
Doch angesichts der Jahreszeit und der Tatsache, dass die ganze Familie unter ähnlichen Symptomen litt, lag die Vermutung nahe: Auch uns hat die Schweinegrippe erwischt. Ein Wunder ist das nicht, denn schließlich findet sie hierzulande ideale Verbreitungsmöglichkeiten vor: Kaum jemand kann es sich leisten, bei Krankheit zu Hause zu bleiben. 40 Prozent aller Beschäftigten haben keine bezahlten Krankheitstage. Im günstigsten Fall wird die Fehlzeit auf die ohnehin schon knappen Urlaubstage angerechnet.
Geld fürs Zuhausebleiben
Der demokratische Abgeordnete George Miller aus Kalifornien möchte deswegen im Repräsentantenhaus ein Gesetz einbringen, das Arbeitern fünf bezahlte Krankheitstage garantiert, wenn sie eine ansteckende Krankheit haben. Das Gesetz soll nach zwei Jahren auslaufen, aber der Widerstand ist enorm, die Argumente bekannt: Der Staat solle sich nicht in etwas einmischen, so erklären Wirtschaftsvertreter, das Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch selbst regeln könnten.
Und so machen sich weiter Millionen Kranke hustend auf dem Weg zur Arbeit oder stehen schniefend an der Supermarktkasse. Da Naseputzen in der Öffentlichkeit eigentlich verpönt ist und jeder fröhlich in die Gegend oder seine Hände niest, hat die Regierung eine eigene Internetseite eingerichtet (www.flu.gov). Dort erklären unter anderem die Sesamstraßen-Figuren, dass man doch bitteschön die virenhaltigen Tröpfchen in Richtung Ellenbogen schickt.
Nicht genügend Impfstoff
Für große Heiterkeit sorgte NBC-Korrespondent Chuck Todd in einer Pressekonferenz des Weißen Hauses mit Gesundheitsministerin Kathleen Sebelius, als er niesen musste – und dabei sehr deutlich wurde, dass er das Konzept noch nicht verstanden hatte. Sebelius wies ihn vor laufender Kamera zurecht und drohte, ihm die Sesamstraßen-Wuschel als Lehrmeister auf den Hals zuschicken.
Doch die Heiterkeit darf nicht darüber hinweg täuschen, dass die Obama-Regierung wegen der Schweinegrippe unter Druck steht. Das größte Problem: Es gibt nicht genügend Impfstoff. Den Menschen, die vor Krankenhäusern, Schulen und Arztpraxen Schlange stehen, hilft der Hinweis wenig, dass das Virus in der Petrischale langsamer wächst als geplant. 120 Millionen Dosen sollten Ende Oktober zur Verfügung stehen. Tatsächlich waren es dann nur gut 20 Millionen. Die Empörung war groß, als es zunächst hieß, die Gefangenen in Guantanamo würden die Impfung bekommen, die vielen Schwangeren und kleinen Kindern bisher verwehrt bleibt. Das Weiße Haus dementierte inzwischen.
Obama nicht geimpft
Denn Präsident Obama bemüht sich sehr, alles richtig zu machen. Er hatte sich sogar bereits im Juni mit den "Grippe-Veteranen" getroffen: Jenen Männern, die 1976 dafür verantwortlich waren, dass es in den USA eine bespiellose Grippe-Impfaktion gab. Das Problem damals: Die befürchtete Epidemie blieb aus, Präsident Gerald Ford wurde heftig kritisiert. Obama dagegen hat sich – anders als Ford - selbst zum Beispiel noch nicht impfen lassen – als erwachsener Mann gehört er nicht zur Risiko-Gruppe. Seine beiden Töchter haben die Spritzen bekommen.
Denn Kinder scheinen besonders anfällig für die schweren Nebenwirkungen zu sein. So hat das nationale Zentrum für Krankheitskontrolle und –Prävention auch die nationalen Tamiflu-Reserven für Kinder freigegeben. Da die Hersteller vor allem die Erwachsenen-Dosis produzieren, herrscht auch hier ein Mangel.
Unserer Familie geht es inzwischen wieder besser. Ob wir nun tatsächlich den H1N1Virus hatten? Der Selbstdiagnose-Test, der auch auf der staatlichen Grippe-Seite angeboten wird, sagt: Ja. Aber genau wissen wir das nicht, denn die Ärzte testen schon längst nicht mehr. Sie empfehlen trotz allem, dass wir uns impfen lassen. Wenn denn genügend Impfstoff vorhanden ist.
Autorin: Christina Bergmann
Redaktion: Anne Herrberg