Die Schildkrötenklinik von Moorea
14. April 201530 Minuten braucht die Fähre von Tahiti nach Moorea. Vom Meer aus wirkt die kleine Insel mit ihren steilen Hängen wie die Tropenversion der norwegischen Lofoten. 16.000 Menschen leben hier von und mit den Touristen. Im Nordwesten liegt das Hospital für Meeresschildkröten, das 2004 von der Umweltorganisation Te Mana O Te Moana gegründet wurde. "Das bedeutet soviel wie 'der Geist des Meeres'", erklärt Matthieu Petit. Der 29-jährige Franzose arbeitet hier als Meeresbiologe: "Unser Ziel ist es, die Tiere des Ozeans zu schützen, vor allem die Meeresschildkröten. Wir kümmern uns besonders um die verletzten und kranken Meeresschildkröten".
Die Tierklinik wird von einer NGO betrieben, einer Nicht-Regierungsorganisation. Hier, auf dem Gelände eines Luxushotels, werden verletzte Meeresschildkröten gesund gepflegt und dann möglichst schnell wieder freigelassen. Die Gründe für ihre Verletzungen seien vielfältig, erklärt der Biologe. Die meisten würden von Menschen verletzt, vor allem durch Harpunen und Fischernetze. Aus ganz Französisch-Polynesien werden die Schildkröten nach Moorea gebracht. Manchmal von Touristen, manchmal von Polizisten und Fischern.
"Patienten" kommen auch mit dem Flugzeug
Die Schildkröten-Klinik habe mittlerweile einen überregionalen Ruf, sagt Petit stolz. Sogar mit dem Flugzeug werden die Tiere geliefert und dann von den Veterinären wieder aufgepäppelt. Karett-, Bastard-, Leder und Suppenschildkröten sind darunter. Manche von ihnen erreichen eine Panzerlänge von über zwei Metern. Die Klinikräume sind in mehreren Bungalow-ähnlichen Hütten untergebracht - direkt an der Lagune.
Vielen dieser urzeitlichen Tiere kan man trotz veterinärärztlicher Behandlung nicht mehr helfen. Vor uns liegt ein großes Schildkrötenweibchen, das am Morgen mit Verletzungen an Kopf und Nacken gebracht wurde. Die Wunden sind sehr tief. "Vermutlich von einer Harpune verursacht", sagt Petit. Der Schildkröte gehe es sehr schlecht, möglicherweise werde sie die kommende Nacht nicht überleben. "Wir haben die Wunden desinfiziert und mit Medikamenten versorgt", mehr könne man im Augenblick nicht tun.
Tradition und Gier als Feinde
Und dann spricht Matthieu Petit über das "große Dilemma". Schildkrötenfleisch gilt in Polynesien als Delikatesse. Vor allem ältere Menschen glauben noch immer an eine spirituelle Wirkung: "Einerseits jagen die Familien Schildkröten aus einer kulturellen Tradition heraus. Das Fleisch ist nur für den persönlichen Verzehr". Und andererseits gebe es eine ganz besondere Form der Wilderei: "Gut organisierte Netzwerke, die sich an die Nester heran machen und die Schildkröten töten". Bis zu 1000 Tiere seien das pro Saison oder 30.000 Kilogramm.
"Unglaublich!", ereifert sich der Biologe. Dahinter stecke eine gut funktionierende Industrie. Die Mitarbeiter der Schildkrötenklinik hätten nichts gegen die kleinen Fischer und ihre Familien, die ein, zwei Schildkröten fangen, "aber wir bekämpfen die großangelegte Wilderei!"
Aufklärung tut Not
Meeresschildkröten fallen unter das 1975 in Kraft getretenen Washingtoner Artenschutz-Abkommen. Seit 1990 ist in Französisch Polynesien der Transport, die Haltung, das Sammeln der Eier, der Verkauf sowie der Fang der Meeresschildkröten gesetzlich untersagt. Heute würden Umweltschutzorganisationen wie Te Mana O Te Moana und Tourismusindustrie Hand in Hand arbeiten, sagt Petit. Und es gehe auch darum, den jungen Polynesier zu erklären, warum sie respektvoll mit den Meerestieren umgehen sollen.
Auch deshalb arbeiten neben dem Meeresbiologen ein Veterinär, zwei Techniker und ein Lehrer in der Schildkrötenklinik. Denn nur über Erziehung könne sich das Verhältnis der Polynesier zu den Tieren ändern. Gemeinsam mit der Schulbehörde der Insel hat das Schildkrötenhospital ein spezielles Bildungsprogramm erarbeitet - einschliesslich einer kleinen Ausstellung: "Die Menschen müssen verstehen: Bei den Meeresschildkröten handelt es sich um eine sehr alte Tierart, die bereits zur Zeit der Dinosaurier gelebt hat. Sie sind in gewisser Weise Botschafter des Meeres!"