Die russischen Leonardo da Vincis
31. Mai 2019Nach Frankreich hält Russland weltweit den zweiten Platz, was den Besitz von raren Kunstschätzen des großen italienischen Meisters anbelangt. Im Louvre werden fünf Bilder aufbewahrt, je eins besitzen Museen in Florenz, München, Krakau, London und Washington.
Die Petersburger Eremitage ist stolze Besitzerin von zwei "Leonardos", die auf verschlungenen Wegen nach Russland kamen: Benannt sind sie nach den Vorbesitzern, "Madonna Benois" und "Madonna Litta". Im ersten Fall bezweifelt keiner die Autorenschaft Leonardos, am zweiten scheiden sich die Kunstgeister. Im Jubiläumsjahr gehen beide Bilder auf Reisen und sind außerhalb Russlands zu sehen - eine äußerst seltene Gelegenheit mit Sensationswert.
Zurück nach Italien – aber nur auf Zeit
Der Weg führt in die historische Heimat: "Madonna Benois" wird ab dem 1. Juni 2019 für einen Monat in der italienischen Kleinstadt Fabrian, und dann vom 4. Juli bis zum 4. August in Perugia zu sehen sein. Fabriano ist im Juni Veranstaltungsort einer großen "Creative cities"-gewidmeten UNESCO-Konferenz, an der auch Russland teilnimmt. "Madonna Litta" wird vom 8. November 2019 bis Februar 2020 in Mailand ausgestellt.
Dass beide Bilder Russland ausgerechnet im "Leonardo-Jahr" verlassen dürfen, ist vor allem dem diplomatischen Geschick und einem "großzügigen Gegenangebot" der italienischen Seite zu verdanken: Italienische Museen unterstützen zahlreiche Ausstellungen in Sankt Petersburg mit ihren Leihgaben. Sicherlich ist die "Madonnentour" auch als symbolische Geste zu deuten: Eremitage-Direktor Mikhail Piotrovsky sieht sich gerne als Gegenspieler zu den zahlreichen Isolationisten der russischen Kulturpolitik.
Nicht alle in der Eremitage sind von den Ausstellungsplänen begeistert. "Bei dieser ganzen Reiserei habe ich ein mulmiges Gefühl", gesteht Tatjana Kustodijewa. "Am besten sollten solche Bilder gar nicht ihre Museen verlassen. Schließlich kommen in die Eremitage täglich Tausende von Menschen aus dem In- und Ausland, um die Leonardos zu sehen."
Seit unglaublichen fünf Jahrzehnten ist die elegante wie resolute Dame für die Aufbewahrung der beiden "russischen Leonardos" zuständig. Die Eremitage-Patriarchin leitete auch die Umgestaltung des Leonardo-Saals ihres Hauses, die pünktlich zum Jubiläumsjahr abgeschlossen wurde. Beide Meisterwerke haben neue klimatisierte und panzergeschützte Vitrinen bekommen, auch die Platzierung der Werke im Saal wurde verändert: "Ich habe ein bisschen umgeräumt, so dass die Besucher nicht vorbeigeschleust werden, wie früher, sondern sich voll auf die Werke konzentrieren können."
"Madonna Benois": die zarte Schönheit
"Die 'Benois' ist absolut einmalig, denn gerade von den frühen Werken Leonardos ist kaum etwas erhalten", sagt Tatjana Kustodijewa. Vermutlich ist die in zarten, grün-goldschimmernden Farben gemalte Gottesmutter eines der ersten selbständigen Werke des Meisters überhaupt, gemalt im Alter von 26-27 Jahren – Leonardo hatte gerade die Werkstatt seines Lehrers Andrea del Verrocchio verlassen. Der Legende nach wurde das Bild um 1790 von italienischen Musikern nach Russland gebracht.
Seit Beginn des 19. Jahrhunderts lagerte das Werk in großen privaten Sammlungen, bis es Anfang des 20. Jahrhunderts als Erbstück an Maria Saposchnikova und ihren Mann Leonti Benois überging. Benois, Spross einer berühmten russisch-französischen Dynastie von Architekten und Künstlern, verkaufte das Bild 1914 an Zar Nikolaus II. für 150 Tausend Goldrubel, was damals ungefähr 1,5 Millionen Dollar entsprach - ein Rekordpreis für die damalige Zeit.
"Madonna Litta": ein Streitfall in leuchtenden Farben
Besteht im Fall der "Madonna Benois" keine Zweifel, dass es sich um einen Leonardo handelt, so steht das zweite Eremitage-Bild, "Madonna Litta", im Kreuzfeuer der Diskussion. Einige Kunsthistoriker, darunter der führende britische Leonardo-Experte Martin Kemp, Oxford-Professor und Autor des Buches "Living with Leonardo", sind der Meinung, das Bild sei zwar im Umfeld des Meisters und nach seiner Zeichnung entstanden, sei aber um 1490-1495 von Giovanni Antonio Boltraffio gemalt worden. Die heilige Jungfrau ist in traditionellem Rot und Blau gekleidet, die Farben leuchten (siehe Titelbild).
Tatjana Kustodijewa verteidigt ihren Schützling entschieden: "Generationen von Kunsthistorikern haben "Madonna Litta" als Leonardo-Bild anerkannt, der Eremitage liegen unwiderlegbare Beweise vor. Und überhaupt: Reibt euch die Augen, ihr Zweifler, und seht euch dieses Juwel genau an!". Als echter Leonardo wurde das Bild 1864 beim Mailänder Aristokraten Antonio Litta für die russische Zarensammlung angekauft. Auch bei der anstehenden Exposition in Mailand wird das Bild vermutlich als ein Leonardo ausgestellt - eine weitere Eskalation des Experten-Streits ist also vorprogrammiert.
"Salvator Mundi": ein Kunst-Krimi mit Fortsetzung
Ein weiterer Zankapfel in der Welt der Leonardo-Experten ist "Salvator Mundi". Die Christus-Darstellung, die zuletzt zur Sammlung des russischen Milliardärs Dmitri Rybolowlew gehörte, wurde im November 2017 für 450,3 Millionen Dollar bei Christie's verkauft. Der Käufer, der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, gab an, das Bild im Louvre Abu Dhabi als "Geschenk an die Welt" ausstellen zu wollen.
Seit mehreren Monaten ist das Bild jedoch verschwunden, weder vom Louvre noch von seiner Zweigstelle in Abu Dhabi ist eine Auskunft über den Verbleib des teuersten Bildes der Welt zu bekommen. An der Echtheit bestehen jedoch hartnäckige Zweifel.
Der Brite Martin Kemp hat seinerzeit die Handschrift Leonardos bestätigt. "Für mich besteht kein Zweifel daran, dass es kein Leonardo ist", erwidert hingegen die Eremitage-Fachfrau Tatjana Kustodijewa. "Schaut euch mal an, wie grob die Kleider gemalt sind, oder die Kugel in seiner Hand: Das ist kein Leonardo, sondern höchstens ein Werk einer seiner weniger begabten Schüler."
Der Leonardo-Krimi will kein Ende nehmen - auch nicht 500 Jahre nach dem Tod des großen Malers.
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