Der Tschad im Mali-Konflikt
2. November 2012Ein "Sahelistan" in Mali will die internationale Gemeinschaft um jeden Preis verhindern - dass sich also kleine islamistische Gruppen zu einer wahren Guerillaarmee auswachsen, die - wie in Afghanistan - fähig ist, ein ganzes Land zu unterwerfen. Daher geht es längst nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie einer Militärintervention. Bis Ende November soll ein Konzept zur Rückeroberung des von Islamisten kontrollierten Nordens Malis stehen. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS und die Afrikanische Union wollen rund 3000 Soldaten stellen. Wie sich Deutschland am Einsatz beteiligen wird, ist derzeit noch unklar. Bislang sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel finanzielle Unterstützung sowie Ausbildung und Logistik zu.
Geografisch aber ist der Norden Malis schwieriges Terrain - kilometerweit nichts als Wüste und Steppe. Nur Soldaten mit Erfahrung im Wüstenkampf haben dort eine Chance. Die Truppen des Tschad wissen, wie man in solch unwägbarem Gelände kämpft. Seit ein Militäreinsatz in Mali näher rückt, ist eine Beteiligung des Landes im Gespräch. Es verfügt über gut ausgerüstete Truppen - nicht zuletzt dank der Ausbildung durch die ehemalige Kolonialmacht Frankreich. Zwar hatte die neue Regierung unter François Hollande ein Ende der sogenannten "Françeafrique-Politik" verkündet: Mit dem Umschmeicheln afrikanischer Regierungschefs durch die Vorgänger-Regierungen sei nun endlich Schluss, hieß es. Doch auf der Suche nach geeigneten Truppen werden EU und Afrikanische Union wohl nicht am Tschad vorbeikommen.
Herrscher mit harter Hand
Doch es ist eine zweifelhafte Partnerschaft, die sich da anbahnt: Inmitten von Krisenländern gilt der Tschad zwar bisher als Garant für Stabilität in der Sahelzone. Doch das hat vor allem einen Grund: Präsident Idriss Déby regiert seit zwanzig Jahren mit harter Hand. Brutal geht er gegen die Opposition vor und schränkt zunehmend die Meinungsfreiheit ein. Erst im September wurde eine Zeitschrift verboten, die Korruptionsvorwürfe abdruckte. Der Chefredakteur sitzt im Gefängnis, ebenso die drei Gewerkschafter, die den Artikel verfassten. Ein Oppositionspolitiker wurde kurzerhand verhaftet - wegen angeblicher Wilderei von Warzenschweinen.
Die Liste der Menschenrechtsverletzungen sei lang, sagt Christian Mukosa, Tschad-Experte bei Amnesty International, im Gespräch mit der DW. Die Regierung gehe dabei immer rücksichtsloser vor. Repressionen beschränkten sich nicht mehr auf Einschüchterungen: "Das ist eine neue Dimension. Die Regierung benutzt nun auch gezielt die Justiz, um ihre Gegner kleinzukriegen und zu schikanieren", so der Menschrechtsaktivist.
Islamisten auch im Tschad aktiv
Tschadische Soldaten bei einem Militäreinsatz in Mali seien - trotz Wüstenkampferfahrung und guter Ausrüstung - eine zweifelhafte Angelegenheit, sagt auch Helga Dickow, Politologin am Arnold-Bergstraesser-Institut in Freiburg: "Was für ein Zeichen setzen wir als Westen, der Demokratie fordert, wenn wir jetzt wieder so ein Land unterstützen, nur weil wir Truppen brauchen?" Ein Militäreinsatz könnte Déby internationale Anerkennung bringen und seine Machtposition stabilisieren, fürchtet die Tschad-Expertin. Denn welche Bedingungen Déby an einen möglichen Kampfeinsatz seiner Truppen knüpfe, sei derzeit noch ungewiss. Eines sei jedoch klar: Déby gelte als ausgeklügelter Stratege, der genau wisse, welche Strippen er ziehen müsse, um sein Machtsystem aufrechtzuerhalten.
Eine weitere Sorge: Auch im Tschad besteht die Gefahr einer islamischen Radikalisierung. Wie in Mali ist auch der Norden des Tschad muslimisch geprägt. Und es gebe eindeutige Hinweise, dass die Sympathie für das Islamisten-Regime in Mali wachse, sagt Helga Dickow. In der Hauptstadt N'Djamena pflegten Extremisten bereits enge Verbindungen zur islamistischen Terror-Gruppe Boko Haram in Nigeria. "Angeblich hat Boko Haram Präsident Déby auch schon drohen lassen: Falls der Tschad tatsächlich Truppen nach Mali entsende, würden diese auch den Tschad destabilisieren", so die Expertin. Für die Stabilität in der Sahelregion wäre das ein Fiasko.
Neben dem Tschad hat noch ein weiteres Land militärische Erfahrung im Wüstenkampf: Algerien. Dort zeigte sich Präsident Abdelaziz Bouteflika im Gespräch mit US-Außenministerin Hillary Clinton zuletzt jedoch zurückhaltend. Eine Situation, die die Bedeutung des Tschad für den Westen zusätzlich stärkt - und damit die Macht von Präsident Déby.