"Das Friedenspotenzial der Religionen ist riesig!"
22. Mai 2017Bischof Krikor Chiftjian steht vor dem Weltsaal im Auswärtigen Amt in Berlin und ist im regen Gespräch. Der Prälat der armenisch-apostolischen Christen im Iran wacht über rund 200.000 Gläubige in streng muslimischen Iran, aber er hat kein Problem damit, sich hier in Berlin mit Muslimen oder Juden auszutauschen. "Diese Konferenz muss einfach ein Erfolg werden, wir wollen, dass der Respekt, den wir hier alle spüren, weitergetragen wird." In die jeweiligen Heimatländer nämlich. Bischof Chiftjian weiß, dass die Religionen derzeit von nicht wenigen Beobachten auf der Welt verantwortlich gemacht werden für Gewalt und Krieg, aber er sagt der DW: "Die Religionen sind doch nicht das Problem, einige der Anhänger sind es."
"Religionen müssen Teil der Lösung werden!"
Für drei Tage sind rund 100 Vertreter von Religionsgemeinschaften aus Nord- und Westafrika, dem Nahen und Mittleren Osten und aus Europa nach Berlin gekommen – aus 53 Ländern insgesamt. Sie alle eint eine Hoffnung: dass Gläubige, egal welcher Ausprägung, nicht länger schweigen, wenn im Namen ihrer Religion Kriege vom Zaun gebrochen werden, wenn unterdrückt und zerstört wird. Zu Beginn spricht der Jerusalemer Oberrabbiner David Rosen aus, was viele denken: "Wenn wir nicht wollen, dass Religionen Teil der Konflikte bleiben, müssen sie zum Teil der Lösungen gemacht werden." Im Kern, so Rosen, hätten die meisten Konflikte andere Ursachen. Armut und soziale Ungleichheit, Wegfall von Identitäten in einer sich immer schneller globalisierenden Welt. Aber dann werde die Religion oft benutzt, um sich abzugrenzen gegen andere, die für die Konflikte verantwortlich gemacht würden. Vor allem junge Leute seien dafür anfällig.
80 Prozent der Weltbürger gehören einer Religion an
Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel, der die Konferenz eröffnete, möchte, dass Religionsvertreter künftig von Anfang an bei der Bewältigung von Konflikten dabei sind: "Das Friedenspotenzial der Religionen ist riesig", meint Gabriel, "auch wenn wir wissen, dass die Lösung von internationalen Streitfällen im Kern eine Aufgabe von Staaten ist." Vor allem in vielen westlichen Ländern sei der Vorbehalt gegen der aktive Rolle von Glaubensgemeinschaften stark. "Wir haben immer das Gefühl, dass die Rolle der Religionen eher abnimmt, aber das ist eine verengte Sicht, weltweit nimmt sie eher zu", so der Außenminister. 80 Prozent aller Weltbürger bekennten sich zu einer Religion. Und durch ihre lange Geschichte, ihre eigenen Kämpfe und Fehler seien Religionen in der Lage, etwas beizusteuern, was der Politik oft fehle: Zuversicht und langen Atem.
"Der Koran kennt keine Übertreibung bei der Ausübung des Glaubens."
Aus Bosnien ist Husein Kavazovic angereist, der Großmufti in Bosnien und Sarajewo. 1995, als in seiner Heimat, in der Stadt Srebenica, 8000 Menschen, junge Männer zumeist, bestialisch von serbischen Militärs ermordet wurden, da sorgte er mit dafür, dass es nicht zu Racheakten von Muslimen an Christen kam. Auch er weiß, dass vor allem im Namen des Islam derzeit schlimme Verbrechen begangen werden: "Aber unsere Religion ist eine des Friedens, der Koran kennt keinen Zwang und keine Übertreibung bei der Ausübung des Glaubens", ruft er jetzt in den Saal. "Unser Grundprinzip ist: Gutes tun und anderen helfen, ebenfalls Gutes zu tun." Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Berliner Mauer vor 28 Jahren, so der Großmufti, sei in vielen Ländern der Eindruck entstanden, dass das Zeitalter der Religionen beendet sei. Das Gegenteil habe sich gezeigt. Aber in der Praxis gebe es doch einen regen interreligiösen Diskurs, der lediglich von wenigen sabotiert werde.
Nicht mit dem Finger auf muslimische Länder zeigen
Ein eigener Arbeitsstab soll im Auswärtigen Amt künftig die Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Gruppen bei der Konfliktlösung koordinieren, vor allem mit religiösen Gruppen. Um ja nicht von Anfang an mit dem Finger etwa auf den Nahen Osten oder auf muslimische Länder zu zeigen, listete Sigmar Gabriel nochmal die an Kriegen und Zerstörung reiche Geschichte des Christentums in Europa auf, verwies etwa auf die unglaubliche Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg, der letztlich auch als Glaubenskrieg bezeichnet worden sei. Oder an den Konflikt in Nordirland, der noch nicht lange zurückliege. Und aus eigener Erfahrung schildert Gabriel, wie in seiner Schulzeit in Goslar in den Sechzigerjahren die Kinder noch streng nach Konfessionen getrennt im Klassenraum saßen, Gabriel bei den Protestanten: "Aber wir haben uns nach dem Unterricht nicht mehr darum gekümmert, wer welcher Seite angehörte." Und das sei auch für heute ein gutes Motto.