Gutes Plastik, böses Plastik?
18. März 2020Der kranke Partner will unbedingt Orangensaft, doch am Sonntag gibt es den nur im Kiosk um die Ecke. Mehrwegflaschen - Fehlanzeige. Es gibt nur Getränkekartons oder Plastikflaschen. Beide kommen nach Gebrauch in die gelbe Tonne. Macht es dann einen Unterschied, für welche Verpackung ich mich entscheide?
"Was die Recyclingfähigkeit betrifft, dürfte die Plastikflasche ein bisschen besser dastehen, weil sie vermutlich aus nur einem Kunststoff besteht und deswegen einfacher zu recyceln ist als ein Mehrschichtmaterial wie der Getränkekarton", meint Rolf Buschmann, Abfall- und Ressourcenexperte bei der Umweltorganisation BUND und mitverantwortlich für den Plastikatlas 2019. Denn vom Getränkekarton wird nur der Papieranteill wiederverwertet. Alles andere, wie etwa Plastikbeschichtung oder Teile von Aluminumfolie, werden als Restmüll verbrannt, erklärt Buschmann.
Immer mehr Mulitlayer-Verpackungen
Woran erkennt man mehrlagige Verpackungen? Beim Getränkekarton ist offensichtlich, dass er aus verschiedenen Materialien besteht - aber was ist zum Beispiel mit einer Weingummitüte?
Flexible Plastikverpackungen könnten aus bis zu 10 verschiedenen Kunststoff-Folien bestehen. Das sei aber für Verbraucher nicht zu erkennen, sagt Joachim Christiani. Der Ingenieur ist Sachverständiger für Verpackungsentsorgung und Geschäftsführer des Instituts cyclos-HTP."In den vergangenen Jahren ging der Trend zu sogenannten Mulitlayer-Verpackungen, die extrem leicht und dünn sind. Damit spart man zwar Material und beim Transport auch CO2. Doch diese Verpackungen können nicht mehr wiederverwertet werden." Denn die unterschiedlichen Kunststoffe ließen sich nicht miteinander verschmelzen, erklärt Christiani. Und bislang sei es nicht möglich, die einzelnen Folien in Sortier- und Recyclinganlagen voneinander zu trennen.
Kaum Recyclingplastik im Einsatz
2017 untersuchte das Institut cyclos-HTP die Recyclingfähigkeit von herkömmlichem Verpackungsmüll, also das, was üblicherweise in der gelben Tonne und im gelben Sack landet. Das Fazit: Gut ein Drittel davon war nicht recyclingfähig. Und von den anderen zwei Dritteln wurden nur etwa 40 Prozent zu Kunststoff-Rezyklat recycelt. Der Rest wurde energetisch verwertet - also verbrannt. "Es gab keinen wirtschaftlichen oder politischen Druck, mehr als diese Menge zu recyceln. Die vorgeschriebenen Wiederverwertungsquoten waren erfüllt. Und es gab auch gar nicht genügend Recyclinganlagen", berichtet der Ingenieur.
Auch eine Studie der Chemie- und Entsorgungsindustrie von 2017 zeigt, dass Recyclingplastik in Deutschland bisher sehr sparsam eingesetzt wird. An der Gesamtmenge des hierzulande verarbeiteten Kunststoffs machte Plastik-Rezyklat gerade einmal 12 Prozent aus - knapp 1,8 Millionen Tonnen. Der Anteil an neuem Kunststoff lag dagegen bei mehr als 12 Millionen Tonnen.
Viel Raum für Greenwashing
Die meisten Verbraucher wünschen sich deutlich mehr Plastik-Recycling, vor allem für Verpackungen, das zeigt eine Umfrage des Bundesverbands der deutschen Verbraucherzentralen (vzbv). Zwar wirbt manches Produkt mit der Aussage "Verpackung aus recyceltem Material". Aber: "Das sagt nichts darüber aus, wie viel Recyclingmaterial die Verpackung tatsächlich enthält", erklärt die Referentin für Ressourcenschutz beim vzbv, Elke Salzmann. "Und es heißt auch nicht, dass das recycelte Plastik aus dem eingesammelten Plastikmüll stammt. Genauso gut könnte es aus Plastikresten gewonnen sein, die bei der Produktion von Primär-Kunststoff anfallen."
Auch der Begriff "Ocean-Plastic", mit dem einige Textil- und Schuh-Hersteller ihre Produktlinien aus Recyclingplastik bewerben, sei irreführend, kritisiert die Verbraucherschützerin. "Der Plastikmüll aus dem Meer ist in einem viel zu schlechten Zustand, als dass man ihn recyceln könnte. Stattdessen wird Plastikmüll von Stränden oder Flussufern verwendet." Zudem machten Recycling-Pullis oder Sneaker im Vergleich mit den herkömmlichen Produktlinien meist nur einen minimalen Anteil am Sortiment aus, so Salzmann.
Gesetze gegen die Plastikflut
Neben Berichten über Mikroplastik in Wasser, Luft, Böden und Organismen haben gerade die Bilder von Müll im Meer und den an ihm sterbenden Tieren dem Plastik ein negatives Image beschert. Das Plastikmüll-Problem ist im öffentlichen Bewusstsein angekommen und die Politik beginnt zu handeln.
So sieht das seit Januar 2019 geltende deutsche Verpackungsgesetz für Werkstoffe seit 2019 eine Recyclingquote von 63 Prozent vor, für Kunststoffe gelten ab 2022 sogar 90 Prozent; bislang sind es 36 Prozent. Allerdings sagt die Quote nur, wie viel Material dem Recycling-System zugeführt werden muss, nicht aber, wie viel dabei tatsächlich recycelt wird.
Möglicherweise könnte sich das durch künftige EU-Vorschriften ergeben. Im Rahmen ihres "Green Deals" will die Europäische Kommission das Thema Kreislaufwirtschaft stärken und hat einen Aktionsplan zur Müllvermeidung und Ressourcenschonung angekündigt. Dabei will sie auch neue Regeln für die Nutzung von Recyclingmaterial aufstellen. Beraten wird die Kommission dazu von den Europäischen Akademien der Wissenschaften (EASAC). Und die machen radikale Vorschläge für die "Wege aus der Plastik-Krise". Ihre Empfehlungen reichen von Deponie- und Exportverboten von Plastikmüll über Steuernachlässe für Recyclingprodukte bis hin zur Einführung einer Kunststoffsteuer und einer gesetzlichen Mindestquote von Recyclinganteilen in Verpackungen.
"Den Umgang mit Plastik völlig verändern"
"Plastik ist ein sehr nützliches Material, aber am Ende seines Einsatzzyklus' macht es viele Probleme", sagt der Direktor des EASAC-Umweltprogramms, Professor Michael Norton im DW-Interview. "Wir müssen sozusagen den Anfang vom Ende her denken, und das bedeutet, dass wir das ganze System neu betrachten und unseren Umgang mit Plastik völlig verändern müssen."
Das scheinen mittlerweile auch Verpackungsindustrie und Handel zu erkennen, berichtet Joachim Christiani. Derzeit lasse sich bis zu 70 Prozent Recyclingmasse aus einer Verpackung generieren. Künftig soll die Recyclingfähigkeit nach Wunsch vieler Hersteller deutlich höher liegen. "95 Prozent sind durchaus machbar", sagt der Ingenieur. Dafür würden derzeit die Sortieranlangen verbessert und auch das Verpackungsdesign verändert. Ziel sei es, möglichst einheitliches Material zu verwenden, sagt der Abfallwirtschaftsexperte. "In der Branche ist derzeit sehr viel in Bewegung."
Schwarzes Plastik - nein, danke
Die derzeit beste Recyclingfähigkeit weisen PET-Flaschen auf. Weil sie sortenrein sind können aus ihnen wieder neue Flaschen entstehen. Die Ausfallquote ist gering. Ganz anders ein Plastik-Joghurtbecher, der mit Pappbanderole und Aluminiumdeckel versehen ist. Dessen Recyclingmasse liegt bei gerade einmal 30 Prozent, da von den drei unterschiedlichen Materialien nur eines wiederverwertet werde, so Christiani. "Damit alles recycelt werden kann, müsste der Verbraucher den Deckel abtrennen, den am besten falten statt knüllen, und die Pappbanderole gesondert in die Papiersammlung geben. Fakt ist aber: Das macht fast niemand."
Auch dunkles Plastik mache Probleme, sagt Plastikatlas-Autor Buschmann. Weil nur nach Sorten, nicht aber nach Farben sortiert werde, werde das Rezyklat durch solches Plastik dunkel. Helle Verpackungen lassen sich aus dem wiedergewonnen Grundstoff nicht mehr herstellen, dazu ist dann wieder neuer Kunststoff nötig.
Mehrwegsystem schlägt Kunststoff-Rezyklat
Recycling schon beim Design bedenken, mehr Sortenreinheit, bessere Sortieranlagen - all das fordern Verbraucher- und Umweltverbände bereits seit langem. Ihre wichtigste Forderung aber lautet: Müllvermeidung durch Mehrwegsysteme. Ihre Umweltbilanz schlage jedes Recycling, sagt Buschmann. "Warum Einwegflaschen einschmelzen um neue Einwegflaschen daraus zu machen, wenn man sie bis zu 20 Mal wiederbefüllen kann?" Es bleibt dabei: Das beste Plastik ist das, das gar nicht erst neu entsteht.