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"Die Preise sind hoch, aber die Mengen sind da"

Das Interview führte Christine Harjes30. September 2004

Die Ölpreise sind zurzeit hoch wie nie. Trotzdem stehen wir nicht vor einer Energiekrise, sagt der Energieexperte Rainer Wiek. Ausschlaggebend für den Preisanstieg seien psychologische Gründe.

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Große Reserven im Irak: Öl-Raffinerie in BasraBild: AP

DW-WORLD: In dieser Woche hat der Preis für ein Barrel Rohöl zum ersten Mal die Marke von 50 Dollar überschritten. Was treibt den Ölpreis so in die Höhe?

Rainer Wiek
Rainer Wiek vom Energie Informationsdienst (EID)Bild: Rainer Wiek

Rainer Wiek: Momentan wirkt auf dem Ölmarkt unglaublich viel Psychologie. Das ist das bestimmende Element. Bei einem eigentlich ausbalancierten Markt, was Angebot und Nachfrage angeht, gibt es eine ganze Reihe von Faktoren, die die Angst im Hinblick auf Versorgungsengpässe schüren. Da sind die Situation im Irak oder auch die Probleme in Russland mit dem Ölversorger Yukos. Neu hinzugekommen ist die politische Krise in Nigeria. Darüber hinaus haben sich die Hurrikans im Golf von Mexiko auf das Preisniveau insofern ausgewirkt, als das insbesondere der US-Markt betroffen war.

Sie führen psychologische Gründe für die Preissteigerung an. Heißt das, es gibt keine Ölknappheit?

Von einem Engpass zu sprechen ist momentan sicher noch etwas verfrüht. Tatsache ist, dass wir das ganze Jahr über eine extrem hohe Nachfrage nach Öl hatten und alle Prognosen mehrfach nach oben korrigiert wurden. Insofern wirkt sich natürlich die Sorge, dass es in wichtigen Ländern - Nigeria ist immerhin siebtgrößter Produzent der Welt - Unterbrechungen geben könnte, preissteigernd aus. Auf der anderen Seite wird in den maßgeblichen Förderländern produziert was das Zeug hält. Gerade im Nahen und Mittleren Osten laufen die Pumpen auf Hochtouren und der maßgebliche Produzent Saudi-Arabien verspricht ständig, mehr Öl in den Markt zu geben.

China ist zum zweitgrößten Ölimporteur der Welt geworden. Welche Rolle spielt die Nachfrage Chinas bei den steigenden Ölpreisen?

China spielt eine ganz entscheidende Rolle. Gerade wenn man das Potenzial des chinesischen Energiemarktes mit einbezieht. Es gibt diverse Bereiche, die noch eher unterentwickelt sind und bei denen Steigerungsraten zu erwarten sind. Das gibt die Wirtschaft dort wie keine andere her. Daneben ist auch Indien zu nennen. Das sind zwei ganz wesentliche Player im internationalen Energiemarkt, deren Durst nach Energie immer größer wird.

Wie reagieren die Endverbraucher auf die steigenden Preise? Treiben Hamsterkäufe den Preis weiter in die Höhe?

Wir haben, wenn man zum Beispiel das Heizölgeschäft sieht, gerade ein starkes Ansteigen der Nachfrage beobachtet. Das ist aber nicht weiter verwunderlich, da wir uns gerade ins Winterhalbjahr begeben. Viele Verbraucher haben sich bisher mit Käufen zurückgehalten und ihre Tanks sind leer. Lange wurde spekuliert, dass die Preise wieder fallen könnten. Jetzt müssen viele kaufen, die Nachfrage steigt an und das ist sicherlich ein weiterer preistreibender Faktor.

Bei den Kraftstoffen ist es schwierig, eine unmittelbare Reaktion festzustellen. Wir erleben in Deutschland seit geraumer Zeit beim Benzin eine rückläufige Nachfrage, weil auch eine Substitution - die Abwanderung zum Diesel - stattfindet. Der Dieselverbrauch steigt und das ist eigentlich die normale Entwicklung.

Analysten befürchten, dass Öl mittelfristig bis zu 60 Dollar pro Barrel kosten könnte. Halten Sie das für realistisch?

Ich bin eher vorsichtig, was Prognosen in Dollar je Barrel angeht - besonders was den Zeitraum betrifft. Insgesamt muss sich der Weltmarkt auf längere Sicht sicherlich auf ein höheres Ölpreisniveau einstellen. Bewegungen nach oben und unten sind aber möglich.

Welchen Spielraum hat die OPEC bei der Ausweitung der Ölfördermenge?

Die Forderung in Richtung OPEC ist immer die, jetzt für noch größere Ölmengen zu sorgen. Der große Player innerhalb der OPEC, der auch das politische Geschehen innerhalb des Kartells bestimmt, ist Saudi-Arabien. Das ist auch das Land, das noch die größten Kapazitäten zur Verfügung hat. Alle OPEC-Staaten sind bemüht, zu investieren, um neue Quellen zu erschließen. Reserven sind in den meisten Ländern vorhanden. Der Irak könnte sicherlich, wenn er sich politisch normalisiert, innerhalb des Kartells eine noch größere Rolle spielen, da auch dort immense Reserven liegen. Das wird momentan durch die instabile Sicherheitslage verhindert.

Mitte September hatte die OPEC beschlossen, die Ölfördermenge um eine Million Barrel auf 27 Millionen Barrel pro Tag zu erhöhen. Trotzdem sind die Preise gesunken. Warum?

Weil das Kartell ohnehin schon über dieser Menge gefördert hat. Im August soll die OPEC-Fördermenge sogar bei 28 Millionen Barrel oder mehr am Tag gelegen haben. Die offizielle Ausweitung der Förderquote ist im Prinzip ein rechnerisches Zurückführen in die Quote, um der eigenen offiziellen Politik folgen zu können. Es ist so, dass seitens der OPEC viel Öl produziert wird und der Markt auch gut versorgt wird. Der Durst ist weltweit allerdings sehr hoch. Wenn man größere Mengen aus der OPEC in den Markt bringen will, dann muss auch in den Ländern investiert werden. Und vielleicht müssen auch die Grenzen für die internationalen Ölkonzerne geöffnet werden, denn die einheimischen Gesellschaften können die Investitionen alleine nicht stemmen.

Steuern wir auf eine Energiekrise zu, wie wir sie aus den 1970er-Jahren kennen?

Jetzt von einer Energiekrise zu sprechen, ist völlig verfehlt. Es ist eine Energiepreiskrise. Die Preise sind hoch, aber die Mengen sind da. In den 1970er-Jahren hatten wir eine aktive Verknappungspolitik von denen, die diese Energieträger bereitgestellt haben. Das ist heute nicht der Fall. Es fließem ausreichende Mengen in den Markt und es werden zukünftig eher mehr werden, denn die Reserven sind ja noch da.

Das gestiegene Preisniveau hat zur Folge, dass auch über andere Energieträger nachgedacht wird. Das sind zum einen die erneuerbaren Energien. Aber es ist in der politischen Diskussion jetzt auch festzustellen, dass der Ausstieg aus der Kernenergie eventuell hierzulande noch einmal überdacht werden soll, weil man vor dem Hintergrund der Preissteigerung vielleicht langfristig auf diesen Energieträger nicht verzichten kann.