Die Politik zieht keine Konsequenzen
3. September 2013"Der Sportausschuss hat fleißig gearbeitet", gab Klaus Riegert stolz zu Protokoll. Der sportpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion legte auch gleich eine Begründung nach. "Wir haben in den letzten vier Jahren keine Sitzung gehabt, in der nicht das Wort Doping vorkam", bilanzierte er. Länger als vier Minuten spricht Riegert. Er lobte die Autonomie des Sports, lobte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), lobte den Deutschen Olympischen Sportbund DOSB und immer wieder auch die eigene Arbeit. Monolog beendet, Stille.
"Ich konnte in ihrer Rede keine genaue Frage erkennen?", sagte daraufhin Dagmar Freitag (SPD), die Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, zögerlich ins Mikrofon. Eine Frage? An den zur Anhörung eingeladenen Bundesinnenminister Friedrich? Nein, die hatte Riegert nicht.
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit
Seit zwei Jahren bekommt die Öffentlichkeit in der Regel nicht mehr mit, wie in den Sitzungen des Sportausschusses kommuniziert wird. Damals war es ausgerechnet Klaus Riegert, der einen Antrag auf Nicht-Öffentlichkeit stellte, der von der Regierungskoalition genehmigt wurde. Seitdem öffnen die 18 Politiker des Ausschusses nur noch unter besonderem Druck ihre Türen. So wie an diesem Montag - zur letzten Sitzung der Legislaturperiode.
Schließlich stand eine brisante Angelegenheit auf der Tagesordnung: Die Studie über die Dopinggeschichte Westdeutschlands, die bereits seit Wochen in der Öffentlichkeit breit diskutiert wird. Die Forschungsergebnisse zweier Gruppen aus Münster und Berlin zeigen, dass es neben der Dopinggeschichte Ostdeutschlands auch "systemisches" Doping in der Bundesrepublik gegeben hat. Darüber sollte im Ausschuss geredet werden. Höchste Vertreter aus den wichtigsten Sportinstitutionen waren eingeladen, darunter auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, dessen Ministerium in Deutschland über hunderte Millionen Steuergelder entscheidet, die an den organisierten Sport in Deutschland verteilt werden.
Dass auch Westdeutschland mit leistungssteigernden Substanzen- und Methoden seine Athleten zu Medaillen trieb, war bereits durch zahlreiche Einzelveröffentlichungen bekannt. Jetzt stand viel mehr die Frage im Raum, wie die Politik auf die selbst in Auftrag gegebene Untersuchung der eigenen Dopinggeschichte reagierte? Was lernt das Bundesinnenministerium als zentraler Geldgeber des Sports aus der eigenen Vergangenheit? Welche Konsequenzen werden aus den Ergebnissen der Studie gezogen? Welche Maßnahmen eingeleitet?
Attacken gegen HU-Wissenschaftler
Eine Antwort auf die meisten dieser Fragen blieb der Ausschuss aber schuldig. Konkrete Handlungsschritte wurden im Sportausschuss nicht besprochen. Während die Mitglieder der Opposition dies kritisierten, rückten insbesondere die Mitglieder der Union und FDP nicht die Ergebnisse der Studie in den Mittelpunkt der Diskussion, sondern die Arbeit der Wissenschaftler. Verwässerung des Dopingbegriffes. Nicht ergebnissoffen geforscht. Insgesamt nicht wissenschaftlich gearbeitet. Vorwürfe, die sich an die Arbeit der Berliner Gruppe richteten. Eine Verschleierungstaktik, die von unliebsamen Ergebnissen ablenken soll? Immerhin soll auch der ehemalige FDP-Außenminister Hans-Dietrich Genscher, der als Bundesinnenminister zwischen 1969 und 1974 auch für den Sport zuständig war, durch die Ergebnisse der Studie belastet werden.
"Ich bitte darum den Text zu lesen", versuchte der Berliner Sporthistoriker Giselher Spitzer den Vorwürfen zu entgegnen. Spitzer und die anderen Sachverständigen bekamen nur wenig Redezeit, um die eigene Position vorzustellen. "Ich hatte schon überlegt zu gehen", meinte Ingmar Schmidt, Leiter der HU-Forschungsabteilung, nach der Sitzung. Eine "mehrjährige Forschung in fünf Minuten" darzustellen, sei "nicht optimal gewesen", kritisierte er das zeitliche Dilemma, unter dem alle Sachverständigen litten.
Braucht man ein Anti-Doping-Gesetz?
Immerhin wolle Friedrich unabhängig von der Studie über ein mögliches staatliches Anti-Doping-Gesetz diskutieren, verkündete er im Sportausschuss. Dazu hätte er am 26. September zu einem "Expertengespräch" geladen, an dem auch die Justizminister der Länder teilnehmen sollten. Auf Nachfrage der DW korrigierte das Pressebüro des Innenministers: Nein, die Justizminister, die in der Mehrheit ein Anti-Doping-Gesetz befürworten, seien zu diesem Gespräch doch nicht eingeladen.
Ein Anti-Doping-Gesetz hätte zur Folge, dass die Einnahme von verbotenen, leistungssteigernden Mitteln auch strafrechtlich relevant würde. Dopende Sportler hätten dann nicht nur eine Sperre durch ihren Verband, sondern wegen Betrugs im Zweifelsfalle auch Geld- oder sogar Gefängnisstrafen zu befürchten. In Frankreich, Spanien, Italien und anderen europäischen Ländern gibt es Anti-Doping-Gesetze bereits. Seit einigen Monaten wird ein solches Gesetz auch von der deutschen Politik verschärft diskutiert. Im Juni brachte die SPD einen Gesetzentwurf im Bundestag zur Abstimmung, der mit den Gegenstimmen der FDP und Union aber keine Mehrheit fand. In dieser Sitzung scheiterte ein Antrag der Grünen, der einen Gesetzesantrag für ein Anti-Doping-Gesetz des Landes Baden-Württemberg stärken sollte. Bislang argumentierten die Gegner stets mit der Sportgerichtsbarkeit, dessen schnelle Urteilsfähigkeit mit einem parallel laufenden Strafprozess gefährdet werden würde. Es existieren allerdings keine Beispiele aus anderen Ländern, in denen sich beide Gerichtsinstanzen behinderten.
Nach der Untersuchung ist vor der Untersuchung
Aber das ist noch Zukunftsmusik. Genau wie die Regierung zunächst nicht handeln sondern noch mehr sprechen möchte auch der DOSB, dessen Generalsekretär Michael Vesper vor dem Sportausschuss sprach. Er präsentierte eine Liste von sieben Personen, die unter der Leitung des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Udo Steiner bis März 2013 "Handlungsempfehlungen" im Umgang mit den Ergebnissen der Dopingstudie geben sollen. "Ich denke, dass wir deren Bewertung abwarten sollten", meinte auch Innenminister Friedrich. Mit anderen Worten: Erstmals tun wir gar nichts und danach schauen wir mal weiter.
"Ich befürchte, dass in 10 bis 20 Jahren wieder eine Koalition zusammen sitzt und darüber spricht, über welche Konsequenzen man reden sollte", sprach Doping-Historiker Gerhard Treutlein noch während der Sitzung seine Bedenken aus. Ob in einem Jahrzehnt auch über die nächste Epoche der deutschen Dopinggeschichte gesprochen werden kann? Bislang wurde nur die Dopinggeschichte bis zur Wende erforscht. Nicht aber die Zeit danach. Warum nicht? Noch so eine Frage, die in der knapp vierstündigen Sondersitzung des Sportausschusses nicht beantwortet wurde.