Die Pilgerfahrt der Obdachlosen
10. November 2016Dieter Ahlers wird nicht besonders viel Stress haben, wenn er seine Sachen für die Reise nach Rom packt. Der 64-Jährige, der seit rund 30 Jahren obdachlos ist, besitzt nur wenige Dinge. Nur eines macht ihm Sorgen - an Bord eines Flugzeugs zu gehen. Er ist einer von 103 Menschen, die in Hamburg auf der Straße leben und an diesem Freitag Papst Franziskus treffen.
Raus aus dem Alltag
Insgesamt rund 6000 Menschen, darunter rund 600 aus Deutschland, sind vom Vatikan eingeladen worden. Für viele ist es der erste Flug und für einige die erste Reise überhaupt. Ahlers sagt, es wundere ihn schon, dass der Trip nach Rom, eine Reise, von der er dachte, dass er sie nie machen würde, ihn emotional so stark mitnehmen würde.
"Ich weiß nicht, ob in meinem Alter noch Änderungen kommen. Ich freue mich auf Rom, mal die Stadt zu sehen, mal eine ganz andere Sicht zu haben. Ich hab viel gehört von so einer Pilgerfahrt - aber ich habe nie geglaubt, dass ich irgendwann mal so eine Pilgerfahrt mitmache. So religiös bin ich nicht. Wenn man erst mal unterwegs ist, kommen einem vielleicht andere Gedanken. Aber ich weiß es nicht, also ich lasse mich überraschen."
Vor vier Monaten hatte Papst Franziskus die Einladung zum "Fest der Freude und Barmherzigkeit" im Vatikan ausgesprochen. Pater Jan Roser von der Katholischen Akademie in Hamburg begann daraufhin zahlreiche Organisationen von allen Glaubensgemeinschaften zu kontaktieren.
Kein Bekehrungsversuch
"Dies ist kein Missionsauftrag. Es gibt keine konfessionellen Vorbedingungen - man muss nicht Katholik oder noch nicht einmal Christ sein. Wir wollen einfach den Leuten, die am Rand der Gesellschaft stehen, sagen, dass wir sie als Menschen schätzen. Sie sind nicht vergessen und haben ein Recht darauf, respektiert zu werden und Hilfe und Zuwendung zu erhalten", so der Geistliche.
Viele der Teilnehmer aus Hamburg wurden über das Obdachlosenmagazin "Hinz & Kunzt" auf die Idee aufmerksam. "Hinz & Kunzt" wird von Obdachlosen gestaltet und von ihnen auf der Straße verkauft. Stefan Karrenbauer, Sprecher des Magazins, sagt, dass es zu Anfang Diskussionen über das Projekt gegeben habe.
"Zuerst kamen Kommentare wie 'Was soll das denn, das ändert doch gar nichts!'. Aber ich merke jetzt eben doch, dass sich bei den Leuten eine ganze Menge bewegt. So hat mir jemand voller Stolz seinen Rosenkranz gezeigt, den er gerade in der Klinik von einer Krankenschwester geschenkt bekommen hat. Die Schwester war so glücklich, dass er nach Rom fährt und hatte ihm extra von zuhause einen Rosenkranz mitgebracht. Und derjenige sitzt dann hier und weint . Also da merkt man, die Reise ist schon etwas besonderes, das bedeutet für manche Leute wirklich wahnsinnig viel."
Wenn die Reisegruppe in Rom eintrifft, werden sie eine Audienz beim Papst haben und im Anschluss Obdachlose aus anderen europäischen Städten treffen. Am Sonntag findet dann im Petersdom eine besondere Messe statt. Die Teilnehmer werden gefragt, ob sie für den religiösen Charakter der Veranstaltung offen sind.
Seelischer Beistand und Logistik
Große katholische Organisationen wie die Caritas oder die Malteser haben die Reise ermöglicht. Pia-Mareike Heyne von der Caritas kümmerte sich um die Organisation des Pilgertrips. So buchte sie die Flugtickets, organisierte Verpflegung und Unterkunft. Zudem rekrutierte sie medizinisches Personal, das mit der Gruppe gemeinsam nach Rom reist. Zu guter Letzt war sie Ansprechpartnerin für die aufgeregten Reisenden und beruhigte deren angespannte Nerven vor der bevorstehenden Reise.
"Es springen immer noch Leute ab, weil sie Angst bekommen. Zum Bespiel ruft eine Dame momentan täglich ihre Begleiterin an, mit der sie sich ihr Zimmer teilen wird, weil sie sich sagt, "Ich bin ein Messie, ich stinke". Daraufhin hat ihre Begleiterin gesagt, das macht gar nichts, Du hast ja gerade eine wunderbare, handgenähte Kulturtasche von zwei ehrenamtlichen Mitarbeiten geschenkt bekommen, wie alle Mitreisenden. Dann werden wir eben jeden Morgen nacheinander duschen gehen!", erläutert Heyne die Befürchtungen und Sorgen der Reisenden.
Heyne erhofft sich einen Effekt von der Reise – nicht nur für die Pilger. Der Anblick von Tausenden von Obdachlosen auf dem Petersplatz, ein Kontrastbild zum Reichtum des Vatikans, soll etwas bewirken. Nicht nur bei den Teilnehmern, sondern auch innerhalb der Gesellschaft. "Ich hoffe, dass das Thema Armut in Deutschland, die Zahl der Menschen, die auf der Straße leben, wieder mehr in den Blick der Öffentlichkeit zurückfindet", so Heyne.
Und selbst wenn das nicht gelingen sollte: Für viele der Teilnehmer wird sich die Reise trotzdem lohnen. Etwa für den 40-jährigen Jens Cormann aus Hamburg. "Richtig super" fände er die Reise. Und ergänzt: "So etwas könnten wir uns ja gar nicht leisten. Ich möchte auch gar nicht wissen, was das alles kostet."