Die orthodoxe Kirche und der Zankapfel Ukraine
8. Januar 2019Ein Vierteljahrhundert lang war der Kirchenstreit in der Ukraine für die Orthodoxie so etwas wie eine tickende Zeitbombe. Millionen Ukrainer gehörten seit Anfang der 1990er Jahre zwei abtrünnigen Kirchengruppen an - dem "Patriarchat von Kiew" und der "Autokephalen Kirche". Diese Kirchen waren international nicht anerkannt, ihre Mitglieder wurden oft als "Spalter" stigmatisiert, nachdem sie sich von der moskautreuen "Ukrainischen Orthodoxen Kirche" lossagten und einseitig ihre Unabhängigkeit proklamierten.
Lange taten andere orthodoxe Kirchen so, als wäre die Spaltung eine interne Angelegenheit der Russischen Orthodoxen Kirche. Doch spätestens nach der Annexion der Krim und dem darauffolgenden Krieg in der Ostukraine wurde klar: Der Patriarch von Moskau, dem seit dem 17. Jahrhundert die Ukraine kirchenrechtlich unterstellt war, kann keinesfalls mehr eine Integrationsfigur für alle Ukrainer sein.
Große Freude, bleibende Spaltung
Diesem Umstand trug der Ökumenische Patriarch Bartholomäus - das Ehrenoberhaupt der weltweiten Orthodoxie - schließlich Rechnung, als er am 6. Januar 2019 in Istanbul dem obersten Hierarchen der unabhängigen ukrainischen Kirche den Tomos - eine Art Unabhängigkeitsbulle - überreichte, und das im Beisein des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. "Das ist ein Grund zur großen Freude für viele ukrainische Orthodoxe. Nun ist eine schwere Last von ihren Schultern gefallen. Diese war umso schwerer, als die moskautreue Kirche ihnen über Jahrzehnte die Gnade Gottes absprach, ihre Sakramente für ungültig erklärte, ihnen das Recht absprach, ein Teil der weltweiten Orthodoxie zu sein", - erklärt der Theologe Kyryl Hovorun die Bedeutung des Tomos gegenüber der DW.
Die nun unabhängige Orthodoxe Kirche der Ukraine ging erst im Dezember 2018 aus der Vereinigung zweier abtrünniger Gruppen hervor, denen sich auch zwei ehemals moskautreue Bischöfe anschlossen. Zum Kirchenoberhaupt wurde der 39-jährige Metropolit Epiphanius gewählt. Patriarch Bartholomäus besiegelte die ukrainische Unabhängigkeit mit einem kirchenrechtlich gewagten Manöver: Er widerrief kurzerhand einen 350 Jahre alten Erlass eines seiner Vorgänger, der die Ukraine dem russischen Patriarchen zusprach.
Moskau fordert Bartholomäus heraus
Doch Moskau versucht auch weiterhin, die Anerkennung der ukrainischen Kirche zu verhindern. Der russische Patriarch Kirill drohte dem Ökumenischen Patriarchen mit dem "höchsten Gericht" und sprach ihm seine historische Würde ab, "der Erste in der Orthodoxen Welt" zu sein. Russlands Präsident Wladimir Putin unterstellte Bartholomäus, dieser wolle in der Ukraine lediglich "Geld verdienen". Mit solcher Rhetorik isoliere sich Moskau aber nur selbst, sagt der griechische Politikwissenschaftler Ilias Kouskouvelis von der Universität Thessaloniki. "Der Ökumenische Patriarch besitzt nach wie vor großes Ansehen - nicht nur in Griechenland, sondern in großen Teilen der Orthodoxen Welt", erklärte Kouskouvelis gegenüber der DW.
Auch von kirchlicher Seite wird Kritik an Moskaus Reaktion laut, vor allem wegen der Ankündigung, bis auf weiteres nicht am Abendmahl mit Vertretern des Ökumenischen Patriarchats teilzunehmen. "Es ist undenkbar, dass die Göttliche Eucharistie, das Mysterium der unendlichen Liebe und der Selbstopferung Christi schlechthin, als Waffe gegen eine andere Kirche eingesetzt werden kann", - kritisierte etwa das albanische Kirchenoberhaupt, Erzbischof Anastasios, den russischen Patriarchen in einem kürzlich veröffentlichten Brief.
Zwei Lager der Orthodoxie
Der ukrainische Patriarch Epiphanius hofft derweil auf eine baldige Normalisierung der Situation. "Ich glaube daran, dass die Gerechtigkeit obsiegt und irgendwann alle Kirchen unsere Unabhängigkeit anerkennen werden, auch wenn das seine Zeit braucht", - sagte der ukrainische Metropolit im Gespräch mit der DW. Er glaubt, dass zunächst die griechisch-orthodoxe Kirche der Entscheidung des Ökumenischen Patriarchen folgt. Die rumänische Kirche könnte bald darauf folgen.
Vorerst nicht zu erwarten ist dagegen die Anerkennung seitens der traditionell eng mit Moskau verbunden Kirchen. Zu diesen gehören die serbisch- und die bulgarisch-orthodoxe Kirche. Klar auf die Seite Moskaus stellte sich bisher nur das Patriarchat von Antiochien. Wohl aus politischen Gründen: Das kanonische Territorium dieser Kirche befindet sich in Syrien, wo viele Christen dem Diktator Bashar al-Assad treu sind - einem engen Verbündeten Russlands.
Die anderen der insgesamt 14 selbstständigen Orthodoxen Kirchen halten sich bisher bedeckt. Kyrylo Hovorun zufolge warteten viele Kirchen erst einmal ab, wie sich der Streit um die Ukraine weiterentwickele. "Es ist wichtig, was aus der neuen Kirche wird. Ob sie nationale oder gar nationalistische Ideen predigt oder ob sie eine wirklich offene und inklusive Kirche sein wird, die auch auf nationale Minderheiten zugeht", so Hovorun.