Die Oase des Künstlers
3. April 2015Sie leuchten blau, orange, pink und grün. Die blumenhaften Formen schweben im Raum. Mit "Papagei und die Meerjungfrau" feiert Henri Matisse, wie so oft, ein Fest der Farben. Nun hängt das Bild, das zu den Cut-Outs, den berühmten Scherenschnitten des Künstlers zählt, in den Oberlichtsälen des Stedelijk Museums. Matisse hat diese Technik in seinen letzten Jahren perfektioniert. Ans Bett gefesselt, ersetzte er den Pinsel immer öfter durch die Schere. So spiegelt sich in der Komposition ein ganzes Künstlerleben.
"Der Papagei und die Meerjungfrau" ist eines seiner Hauptwerke und zugleich Prunkstück der Stedelijk-Kollektion. Mensch und Natur versetzt er, was so unendlich leicht und unbeschwert aussieht, in heitere Schwingung. Darin war Matisse ein Meister. "Henri Mastisse war einzigartig", sagt Chefkurator Bart Rutten, "aber er hat viele Künstler beeinflusst." Man muss ihn also im Zusammenspiel mit anderen sehen. Und genau dazu lädt das Amsterdamer Museum ein, in eine "Oase von Matisse".
Überraschung und Déjà-vu
Die Ausstellung zeigt sein Spätwerk, als dritte Station nach dem MoMa in New York und der Tate Gallery in London. Dort brach sie alle Besucherrekorde. Doch in Amsterdam ist es keine monographische Schau. Nicht das Werk eines einzelnen, etablierten Künstlers steht zur Debatte, nicht allein sein Formenkanon, der sich längst in unser kulturelles Gedächtnis eingeschrieben hat. Stattdessen fächert das Stedelijk Museum ein Panorama auf: Matisse' Arbeiten treffen auf Werke von Zeitgenossen, Nachfolgern und Nachahmern. Der Künstler kehrt so an frühere Stationen seines Schaffens zurück. Einflüsse werden sichtbar. Das Déjà-vu unter Impressionisten, Expressionisten und Kubisten – Matisse hätte es garantiert genossen.
Da ist das Stelldichein zweier "Badender" von Matisse und Kasimir Malewitsch. Entsteigt die eine in vornehmer Blässe einem blauen flächigen See, so imponiert die andere durch schreiend expressives Rot. Wer hat wen inspiriert? "Malewitsch bediente sich gern der Kollektion des Moskauer Sammlers Schukin", weiß Ausstellungsmacher Rutten, "der auch einige Matisse-Werke besaß." Gleich zwei Matisse-Bilder flankieren Picassos prachtvollen "Weiblichen Akt vor dem Garten", auf dem sich ebenfalls laszive dahingelagerte Odalisken räkeln. "Picasso malte sein Bild 1956", erklärt Rutten, "als Hommage an seinen Freund und Rivalen Henri Matisse, der zwei Jahre zuvor gestorben war."
Gegensätze und Parallelen
Es sind spannende Begegnungen, wie etwa die von Piet Mondrians "Ovaler Komposition" von 1914 mit Matisse' fast schon abstraktem "Blick auf die Notre Dame". Beide Gemälde entstanden im selben Jahr. Noch mehr staunen lässt die Kombination aus Matisse' "Goldfisch" von 1902 mit Arbeiten von Barnett Newmann und Mark Rothko. Die amerikanischen Expressionisten malten sie immerhin 50 Jahre später. Malerisch prallen zwar Welten aufeinander. Doch treten auch Parallelen und Brücken zutage zwischen Formen, Farben und Strukturen.
Die Schau präsentiert auch die Entwicklung des Künstlers - beginnend um 1860 mit den französischen Realisten reicht sie bis in die 1950er Jahre hinein. Das entspricht fast exakt den Lebensdaten von Matisse (1869-1954). Der französische Künstler verliert sich nicht zwischen den Bildwelten der Van Goghs, Cézannes und Mondrians. Im Gegenteil: Die Figürlichkeit seiner Motive, sein starker Strich, sein Mut zur reduzierten Form werden zum Kompass für seine Nachfolger. So überrascht die Ausstellung aus Gemälden, Zeichnungen, Teppichen, Bleiglasarbeiten, Kostümen und Cut-Outs. Sie verwebt die mehr als einhundert Leihgaben geschickt mit der eigenen Museumskollektion.