Die negative Bilanz des Flüchtlingskommissars
10. Februar 2016"Europa steht unter noch nie dagewesenem Druck. Niemand hätte vor 10 Jahren geahnt, dass wir heute einen solchen Zustrom an Flüchtlingen und Migranten haben", sagte der EU-Flüchtlingskommissar in einem DW-Interview mit Tim Sebastian.
Mehr als eine Million Flüchtlinge sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration allein im vergangenen Jahr nach Europa gekommen - die größte Zuwanderung seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Mehrheit landet zunächst in Italien oder Griechenland. Von dort reisten die Flüchtlinge oft ungehindert gen Norden.
Um einzelne Länder nicht mit der Zahl der Flüchtlinge zu überfordern, kam eine Idee der gerechten Verteilung auf alle EU-Mitgliedsstaaten auf. Ein Umverteilungsprogramm wurde ins Leben gerufen. Von diesem Moment an sei es Aufgabe der Mitgliedstaaten gewesen, dieses Umverteilungsprogramm einzuhalten, so Avramopoulos.
Ein Konzept, das keiner wollte
Doch mehrere Mitgliedstaaten - wie Ungarn, Polen und Tschechien - weigern sich, Flüchtlinge bei sich aufzunehmen. Von den vorgesehenen 160.000 Asylbewerbern, die aus den meistbetroffenen Mitgliedsstaaten umverteilt werden sollten, wurden bisher nur ca. 400 tatsächlich in andere Länder gebracht.
"Das ist keine gute Bilanz", gab Avramopoulos im Interview zu, und sagte, dass die Europäische Kommission sich dieser Situation bewusst sei. Das Problem, so Avramopoulos, sei, dass viele Regierungen unter enormem Druck durch rechtsextreme und populistische Bewegungen in ihren Ländern stünden und Angst hätten, dass sie Wähler verlieren könnten.
"Angst sollte nicht ausschlaggebend sein, wenn Gesetzentwürfe erarbeitet und implementiert werden“, sagte Avramopoulos: "Es wird Zeit, dass die Mitgliedsstaaten die Führung übernehmen."
Europas Zukunft steht auf dem Spiel
Avramopoulos befürwortet eine europaweite Lösung, um mit den momentanen Herausforderungen umzugehen. "Ich möchte mehr Europa, denn das ist die einzige Antwort", sagte er Tim Sebastian im Interview: "Wir sind gegen Mauern und wir sind gegen Zäune."
Auch an Schengen möchte er festhalten und ist der Meinung, Schengen sei nicht tot: "Es ist die größte Errungenschaft unserer Zeit."
"Europas Regierungschefs müssen einsehen, dass sie die Verantwortung mit uns teilen müssen", sagte Avramopoulos weiter: "Und wenn sie etwas anderes im Sinn haben, dann müssen sie aufrichtig mit ihren Bürgern sein und sie fragen, ob sie in der EU bleiben wollen oder nicht."