Die Nazi-Erblast in der DDR
11. Mai 2011Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit begann in der sowjetischen Besatzungszone in Ostdeutschland unmittelbar nach Kriegsende und damit lange vor der Gründung des Staates DDR 1949. In schnellen Gerichtsprozessen wurden Nazis zu harten Strafen verurteilt. In allen gesellschaftlichen Bereichen folgten Entlassungen und Säuberungen, vor allem im staatlichen Dienst und in der Bildung. Nicht nur Menschen mit erwiesener NS-Vergangenheit wurden entlassen, sondern solche, die verdächtigt wurden, keine gute Sozialisten zu sein. Die SED-Führung wollte so freie Plätze für die eigenen Leute und Mitläufer schaffen. Kompromisse gab es auch, vor allem in der im Aufbau befindlichen Nationalen Volksarmee und bei der Volkspolizei: Hohe Offiziere der Wehrmacht erhielten militärische Führungspositionen unter der Bedingung, sich aktiv zur DDR zu bekennen.
Widerständler waren die privilegierten Opfer
Die in der sowjetischen Besatzungszone begonnene Entnazifizierung durch Gerichtsprozesse wurde in der DDR schon Ende der vierziger Jahre abgeschlossen. Danach folgte eine Darstellung der NS-Zeit, bei der der Antifaschismus des neuen Staates in den Mittelpunkt gerückt und als direkte Reaktion auf die NS-Zeit beschrieben wurde. Nach Ansicht und propagandistischer Darstellung des SED-Regimes waren die wirklichen Opfer des Nationalsozialismus die Kommunisten. Im Vordergrund standen die kommunistischen Opfer, die als aktive Widerstandskämpfer bezeichnet wurden.
Die breite Masse der Opfer – Juden, Behinderte, die Roma und Sinti und so weiter – wurde, wenn überhaupt, nur am Rande thematisiert, sagt Professor Klaus Schröder von der Freien Universität in Berlin: "Ihnen galt keine große Rolle, denn sie waren die passiven Opfer. Sie waren keine Widerständler aus Sicht der SED".
Die geschichtliche Darstellung der nationalsozialistischen Zeiten in der DDR war ideologisch belastet. Grund dafür war die Sicht des SED-Regimes, wonach der Zweite Weltkrieg lediglich ein Konflikt zwischen Kapitalismus (in Nazideutschland) und Sozialismus (in der Sowjetunion) war. Kernbestandteile des Nationalsozialismus, nämlich Rassismus und Antisemitismus, wurden ausgeblendet. Damit wollte man sich in der DDR von jeglicher möglicher Mitschuld abgrenzen und sich selber als anti-faschistischer Staat legitimieren. "Das konnte man nur, wenn man einen Gegensatz zwischen Sozialismus und Kapitalismus herstellte" ergänzt Klaus Schröder. "Man behauptete gleichzeitig, der Kapitalismus führe automatisch zum Faschismus, sprich Nationalsozialismus".
Ideologisierte Erziehung
Die ideologische gefärbte Sicht auf die Kriegszeit und vor allem die Natur der nationalsozialistischen Herrschaft wurde in allen Aspekten der Gesellschaft durchgesetzt. Dies galt vor allem in den Schulen, wo die neuen Generationen der DDR-Bürger nur die Geschichtsversion des SED-Regimes lernten. Allerdings lernten die Kinder dabei auch, dass man unter einem autoritären Regime in der Öffentlichkeit anders spricht als im Elternhaus. Die Berliner Historikerin und Journalistin Annette Leo sagt, dass dadurch ambivalente Botschaften vermittelt worden seien. Denn "die Eltern haben zum Teil erzählt, dass für sie Zeit des Nationalsozialismus die schönste Zeit in ihrem Leben war, wobei sie zum anderen Teil die antifaschistische Erziehung ihrer Kinder in den Schulen entweder sozusagen stillschweigend hingenommen oder sie auch halbherzig unterstützt haben", erklärt Annette Leo.
In einem autoritären und diktatorischen Staat, wie die DDR es war, gab es keinen Platz für andere Meinungen. Dies machte es auch unmöglich, Lücken und Mängel in der Aufklärung durch einen öffentlichen Diskurs deutlich zu machen. "In einem Land, in dem die Massenmedien vollkommen gelenkt werden von der Propagandazentrale der SED, konnte es keinen Diskurs geben außer dem von oben vorgegebenen", sagt Annette Leo.
Nationalsozialismus als Ersatzideologie
Durch die einseitige und mangelhafte Aufarbeitung der Nazizeit in der DDR konnte der Nationalsozialismus zu einer Ersatz-Ideologie des jugendlichen Protests, des Aufbegehrens und des Widerstandes mutieren. Denn auch wenn Teile der Jugend dem SED-Regime mit Trotz und Ablehnung begegneten – als Alternative wurde nicht unbedingt das demokratische System der Bundesrepublik gesehen. Vielmehr konnte da die Ideologie der NS-Vergangenheit ein Dorn in den staatlichen Augen sein:
"Im Westen konnte man provozieren, indem man mit roten Fahnen durch die Straßen lief und kommunistische Parolen grölte. In der DDR mussten sie sozusagen antijüdisch oder pro-nationalsozialistisch sein, wenn sie provozieren wollten", erklärt Klaus Schröder.
Zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands wird in den neuen Bundesländern immer noch mit einer starken rechtsextremen Szene gekämpft. Die wirtschaftlichen Lasten der Wiedervereinigung wogen für einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung im Osten schwer. Auch das hat dazu beigetragen, den Neonazismus zu stärken. Die ökonomische Lage ergänzte damit Versäumnisse des SED-Staates, der es vermieden hatte, die Geschichte in ihrem Ganzen vorzustellen, um die nationalsozialistische Ideologie wirksam zu vernichten.
Autor: Ognjen Cvijanović
Redaktion: Hartmut Lüning