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"Die Macken des Bahnhofs sind eine nationale Schande"

Das Gespräch führte Klaudia Prevezanos27. Mai 2006

Der Architekt Meinhard von Gerkan hat in Berlin einen beeindruckenden Bahnhof geschaffen. Im Interview mit DW-WORLD.DE wirft Gerkan der Deutschen Bahn vor, das Gesamtkunstwerk verschandelt zu haben.

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Der neue Hauptbahnhof BerlinsBild: AP

DW-WORLD.DE: Was ist das Besondere am Berliner Hauptbahnhof?

Deutschland Architekt Meinhard von Gerkan
Meinhard von GerkanBild: dpa Zentralbild

Meinhard von Gerkan: Das ist vor allem die Tatsache, dass er den Mittelpunkt Deutschlands markiert. Dass er ein Kreuzungsbahnhof ist, der das Zentrum Europas mit zwei Trassen von Ost nach West mitten in Berlin verbindet - und dies im Regierungsviertel in direkter Nachbarschaft zum Reichstag und zum Bundeskanzleramt. Das ist ein Ensemble, das einen ganz neuen Charakter der Bahnhofswelt repräsentiert. Das besondere an der architektonischen Gestaltung ist, dass man sich in einem großen Raumkontinuum befindet, in dem sich zwei Bahntrassen immerhin mit 25 Metern Höhenunterschied kreuzen. Die eine 15 Meter unter der Erde, die andere zehn Meter über der Erde. Und dieses ist mit einem großen durchgehenden Luftraum verbunden. Man kann die gesamte Funktion des Bahnhofs optisch und atmosphärisch erfassen, begreifen und sich gut orientieren. Einen solchen Bahnhof gibt es eigentlich weltweit noch nicht. Zudem ist der Bahnhof im Stadtraum ein markantes Element.

Am Wochenende wird der Bahnhof eröffnet und am Sonntag (28.5.) in Betrieb genommen. Freuen Sie sich darauf, dass der Bau dann der Öffentlichkeit übergeben werden kann?

Ich freue mich darauf, dass der sehr lange, 14-jährige Prozess nun ein vorläufiges Ende gefunden hat, und hoffe, dass die verbleibenden Unschönheiten demnächst noch repariert werden können.

Worauf sind Sie denn bei diesem Projekt besonders stolz?

Wir sind stolz darauf, dass es gelungen ist, bei einem so großen Gebäude Konstruktion, Funktion und Gestalt zu einer Symbiose zu bringen. Das ist eine regelrechte Verschmelzung von Konstruktion und Architektur, die es in dieser Form vielleicht noch nicht gegeben hat. Es ist ja kein Gebäude mit Fassade und Dach, sondern es geht alles ineinander über. Jedes Detail ist zugleich ein konstruktives Element. Mit seinen gestalterischen Elementen, die aus dem Stahlbau kommen und mit dem vielen integrierten Glas, mit der Solaranlage im Dach ist es ein Stück gebaute Technik.

Welcher ist denn Ihr Lieblingsbahnhof?

Mein Lieblingsbahnhof ist Central Station in New York. Weil dort die Urbanität integraler Bestandteil des Bahnhofs ist, und der Bahnhof integraler Bestandteil der Stadt ist.

Würden Sie das Projekt Berliner Hauptbahnhof trotzdem nochmals machen, auch wenn es einige Schwierigkeiten bei der Umsetzung gegeben hat?

Es sind keine Schwierigkeiten, sondern Willkürlichkeiten und Böswilligkeiten. Die kann man ja nicht voraussehen. Deswegen kann man bei einem Projekt, das man neu angeht, nicht wissen, was einem in ein paar Jahren widerfahren wird. Aber da mir das bisher noch nirgends widerfahren ist, würde ich grundsätzlich nie davon ausgehen, dass das an der Tagesordnung ist. Das hat ja mit dem Projekt selbst, mit der Konstruktion, der Funktion und der Stadt selbst nichts zutun.

Rechnen Sie damit, dass Sie sich mit dem Auftraggeber, der Deutschen Bahn, noch einigen werden?

Ich denke, dass anlässlich der Inbetriebnahme die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und vor allem der Politik darauf gelenkt wird, dass die Macken, die der Bahnhof noch hat, eigentlich eine nationale Schande darstellen. Sowohl für die Deutsche Baukultur, als auch für die Politik und die Bundesrepublik. Und dass deswegen die Bereitschaft, die Krankheit zu heilen, was ja ein leichtes ist, wachsen wird. Ich denke, dass es eigentlich auch möglich sein müsste, dies ohne gerichtliche Unterstützung zu erreichen.

Werden Sie an der Eröffnungsfeier am Wochenende nun teilnehmen?

Das weiß ich noch nicht, das entscheide ich am Freitag.

Der Berliner Hauptbahnhof wird am 26. und 27. Mai mit einem Fest eröffnet. Am Sonntag (28.5.) geht er in Betrieb. Das Gebäude wurde nach den Plänen des Architekten Meinhard von Gerkan vom Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner gebaut. Die Fertigstellung des Bahnhofs wurde mehrfach verschoben, die Kosten sind von ursprünglich 400 Millionen Mark auf geschätzte 700 Millionen Euro gestiegen. Der Auftraggeber, die Deutsche Bahn, will genaue Zahlen erst später nennen. Bei der Umsetzung des Entwurfs hat die Bahn das Glasdach des Bahnhofs um 131 Meter gekürzt, im Tiefbahnhof hat sie zudem eine Flachdecke statt einer Gewölbedecke einziehen lassen. Architekt von Gerkan hat dagegen Klage wegen der Verletzung seiner Urheberrechte eingereicht.