Die Liebe zählt
13. September 2005Wenn ab kommendem Mittwoch (14.9.) die Generalversammlung der Vereinten Nationen über den Stand der Millenniumsziele spricht, dann wird es auch um die AIDS-Bekämpfung gehen. Nach dem jüngsten Welt-AIDS-Bericht hat sich das Virus im vergangenen Jahr schneller ausgebreitet als jemals zuvor. Insgesamt leben fast 40 Millionen Menschen mit dem Virus, allein in Südafrika sind es fast sechs Millionen. Dort wird der Kampf gegen AIDS von zwei Seiten erschwert: von der Regierung, die beschwichtigt und von moderner Medikamententherapie wenig hält, und von der katholischen Kirche, die den Gebrauch von Kondomen für Sünde hält.
ABC der Liebe
Auf der Strecke bleiben die Jugendlichen, die gerade ihre ersten sexuellen Erfahrungen machen. Es wird zwar viel über AIDS und das Sterben geredet in Südafrika, nicht aber über Sexualität und das Leben. Damit sich das ändert, haben ausgerechnet kirchliche Vertreter und Freiwillige der Don Bosco Salesianer, einer Ordensgemeinschaft der katholischen Kirche, die sich vor allem in der Jugendarbeit engagiert, ein mutiges Programm ins Leben gerufen. Und das erklärt den Jugendlichen viel über sich selbst und das "ABC der Liebe".
Schweigen ist tödlich
Love Matters - die Liebe zählt: Das ist das Motto des einwöchigen Programms, das die katholischen Salesianer im Raum Johannesburg anbieten. Dabei geht es nicht um romantische oder weltfremde Verklärung von Liebe, sondern um handfeste Bekämpfung von HIV/AIDS. Unter Südafrikas Jugendlichen findet die Diskussion über Liebe, Sex und den eigenen Körper kaum statt, und das erhöht das Risiko einer Ansteckung mit HIV.
Tödlich ist nicht erst das HI-Virus, sondern schon das Schweigen der Gesellschaft über Sexualität. Und dieses Schweigen zu brechen - das sei vielleicht die beste Waffe gegen die Verbreitung von HIV/AIDS, findet Carla Cabrita, 27 Jahre alt, katholisch und Freiwillige beim Love Matters Programm. Sie ist überzeugt: Sexualaufklärung und schonungslose Offenheit sind gerade in Südafrika lebensrettende Maßnahmen. Über Sex zu reden sei ein echtes Tabu. "Deshalb setzen wir bei Don Bosco weniger auf Nonnen oder Priester, sondern auf die Strategie der "peer education": Es sind junge Erwachsene zwischen 18 und 30 Jahren, die ehrenamtlich mit den Jugendlichen arbeiten - und da geht es nicht um akademische Vorlesungen, sondern um echten Dialog", sagt Cabrita. "Für viele ist das dann das erste Mal, dass sie offen sprechen können."
Vom ersten Kuß zum ersten Mal
Die Zielgruppe von Love Matters sind Jugendliche, die gerade ihre ersten sexuellen Erfahrungen machen. Bis zu einhundert von ihnen verbringen mit ihren jungen Betreuern sechs intensive Tage im Don Bosco Jugendzentrum in Walkerville, in der Provinz Gauteng. Die Gruppen sind klein, die Kosten für die Teilnehmer so gering wie möglich, das Programm umfasst alle Knackpunkte im Leben eines Teenagers - vom ersten Kuß bis zum ersten Mal. Trotz oder gerade wegen des ernsten Themas ist Love Matters aber keine trockene Informationsveranstaltung. Die Hemmschwelle der "peer education" ist so niedrig wie möglich. Nur so lässt sich offen reden. Und dass das sein muss, daran lässt Carla Cabrita keinen Zweifel: "Gerade die ärmeren Jugendlichen nehmen die unglaublichsten Mythen über HIV/AIDS für bare Münze. Wenn sie einfach mal die Funktionen ihres Körpers kennen lernen und Fragen stellen, dann finden sie viel besser für sich selbst heraus, was die Wahrheit ist."
Mit der Wahrheit ist das so eine Sache in Südafrika, denn die Politik steht dem faktensicheren Dialog über Sex und AIDS absolut im Weg: Präsident Mbeki spielt nach wie vor Armut als "größten Killer der Menschheit" gegen AIDS aus, seine Gesundheitsministerin Tshabalala-Msimang zweifelt die Wirksamkeit von antiretroviraler Medizin an und verbreitet nach wie vor die Mär, Rote Beete und Knoblauch seien ein wirksamer Schutz gegen HIV.
Umso wichtiger, findet Carla Cabrita, dass die Jugendlichen sich klar werden über das so genannte "ABC der Liebe". Dahinter verbirgt sich die grundlegende Strategie der AIDS-Prävention: Abstain, Be Faithful, Condomize - zu deutsch also Enthaltsamkeit, Treue, und der Gebrauch von Kondomen. "Der Schwerpunkt liegt natürlich auf dem C, also beim Thema Kondome - und das ist auch gut so - ob sie benutzt werden, ist eine andere Frage." In Südafrika sind Kondome fast überall zu bekommen. Im Bahnhof, auf Parkplätzen, in Schulen und Gesundheitszentren. "Aber was unsere Zielgruppe angeht - die 13- bis 16jährigen - für die gibt es keine Unterstützung bei A und B - niemand erklärt ihnen, was Enthaltsamkeit ist oder was Treue bedeutet", sagt Carbita. "Verglichen mit dem, was wir alles über den Gebrauch von Kondomen wissen und verbreiten, fehlt es da an Aufklärung. Und wir wollen diese Lücke füllen."
"Sex ist etwas schönes!"
Carla Cabrita ist alles andere als konservativ, und sie sieht Love Matters auch nicht als verlängerten Arm der offiziellen Politik des Vatikan. Die Kirche versichert, sie sei nicht leibfeindlich, aber sie propagiert eine Lebensweise, in der es keine Kondome brauche - also wirbt sie für die Ehe als einzigen Ort der Sexualität. Doch auch für die Katholikin Carla Cabrita ist das schlicht weltfremd. "Es kommt selten bis gar nicht vor, dass man in einer Predigt hört, wie schön Sex ist - im Gegenteil: Junge Menschen kriegen oft zu hören: Sex ist schlecht, lass das sein! Und bei uns, beim Love Matters Programm, sind die Jugendlichen dann überrascht, dass Freiwillige wie ich und sogar Nonnen und Priester ihnen sagen: Sex ist etwas Schönes!" Carbita ist überzeugt davon, dass diese Offenheit die Chance biete, das Verhalten beeinflussen zu können. "Viele von ihnen verlieren Woche für Woche Freunde und Familienmitglieder an diese tödliche Krankheit. Und wenn wir ihnen zeigen, dass sie etwas verändern können durch ihre eigenen Entscheidungen - dann ist das wunderbar."
Ärger mit Rom
Mit ihrer freizügigen Haltung handeln sich die Salesianer immer wieder Ärger mit Rom ein - auch weil sie indirekt die Position des anglikanischen Bischofs und Friedensnobelpreisträgers Desmond Tutu unterstützen, der sich für Kondome als Schutz vor AIDS einsetzt. Auch Carla Cabrita fragt sich, wie realitätsnah das kirchliche Kondom-Verbot sein kann, wenn Jugendliche massenweise an AIDS sterben, das sie sich mit Kondomen nie zugezogen hätten. Trotzdem geht es Carla um viel mehr: nämlich um ein Gleichgewicht zwischen A, B und C, darum, dass das Kondom nicht der erste, sondern der letzte Schritt sein muss in einer Kette von ganz persönlichen und vor allem selbstbewussten Entscheidungen. "Wir versuchen, Sexualität da zu verorten, wo sie geschieht, im Leben eines jeden einzelnen. Wir sind alle weder Sexmaschinen noch einfach bloß Sex-Objekte, und ich finde, wenn wir Sex in einem ganzheitlichen Rahmen begreifen, haben wir eine größere Chance, das Problem besser in den Griff zu kriegen."