"Die Leere in den polnisch-jüdischen Beziehungen füllen"
14. Juni 2002Warschau,11.05.2002 POLITYKA, poln., Joanna Podgorska
Als sich im Mittelalter die ersten jüdischen Kaufleute in Polen niederließen, nannten sie dieses Gebiet "Polin", in Hebräisch Ort der Erholung. Im 20. Jahrhundert, in Folge des Zweiten Weltkrieges, wurde Polen für die Juden zu einem Ort der Asche, der Knochen und der Krematorien. 800 Jahre des Zusammenlebens gerieten in Vergessenheit (...). Das in Warschau entstehende Multimediale Museum der Geschichte der polnischen Juden soll die Leere in den polnisch-jüdischen Erinnerungen füllen.
Eigentlich hat es weniger musealen als erzählerischen Charakter. Schaukästen aus Glas und Bilder an den Wänden wird es dort nämlich nicht geben. Das Ende dieser Erzählung kennen wir und deswegen sind wir daran gewöhnt, über die polnischen Juden als zum Tode verurteilte Opfer zu denken. Die Gegenstände, die ihnen gehörten, sind doppelt tot und lassen an die Vernichtung denken (...).
Diese Geschichte muss also anders erzählt werden: "Es soll ein Museum des Lebens und nicht des Todes werden. Uns nicht an das Leben derer zu erinnern, die ausgelöscht wurden, wäre wie eine erneute Verurteilung zum Nichtexistieren", sagte Mister Wlodzimierz Cimoszewicz.
Bei den Arbeiten an dem Museumsprojekt engagierte sich von Anfang an Jeshajhu Weinberg, der in Warschau geborene Schöpfer des ersten modernen Museums - des Diaspora-Museums in Tel Aviv - und Mitinitiator des Holocaust-Museums in Washington. Es war seine Idee, interaktive Museen zu schaffen, die den Besucher nicht in eine Welt der Gegenstände, sondern in eine virtuelle Realität führen und ihn zum Spiel mit der Geschichte einladen, die eine Art Theater beweglicher Bilder, Töne und Gerüche darstellen. So soll auch das Museum in Warschau aussehen. (...)
Das Team, das vom Verband Jüdisches Geschichtsinstitut (Stowarzyszenie Zydowski Instytut Historyczny - MD) - dem Begründer des Museums - ins Leben gerufen wurde, hat in den letzten zwei Jahren enorme Arbeit geleistet: Es wurden etwa 40 000 jüdische Gegenstände in ganz Polen gefunden, registriert und katalogisiert. Es wird in Israel und Amerika gearbeitet und bald soll auch die Suche auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR starten. Ein multimediales Museum braucht keine Originale. Die gefundenen Gegenstände bleiben dort, wo sie gefunden wurden. Für das Museum werden Kopien oder Fotos gefertigt, die von Historikern in 113 Themenkreise aufgeteilt wurden und auf die schon heute über eine Computer-Datenbank zugegriffen werden kann. (...)
Seit Jahren Menschen beteiligen sich Menschen aus der ganzen Wellt an den Arbeiten am Museum der Geschichte der polnischen Juden. Komitees in Deutschland, Schweden, England, den USA, Israel und Polen sammeln Geld. Das Team, das am historischen Programm des Museums arbeitet, wird von Professor Israel Gutman von der Hebräischen Universität geleitet, der in Polen geboren wurde, am Aufstand im Warschauer Getto teilnahm, Häftling der Konzentrationslager Majdanek, Auschwitz und Mauthausen war. Die Ehrenschirmherrschaft über den Bau des Museums hat Präsident Kwasniewski übernommen. An der Spitze eines internationalen Ehrenkomitees steht Shimon Peres, der ehemalige Premierminister Israels.
"Obwohl die Gemeinde "Centrum" in Warschau uns schon vor fünf Jahren das Grundstück übergeben hat und die Arbeiten seit zwei Jahren im Gange sind, fühlen wir erst jetzt, dass das Museum die Grenze zwischen Traum, Idee und Verwirklichung überschritten hat. Jetzt wissen wir sicher, dass es das Museum geben wird", sagt Ewa Junczyk-Ziomecka. Es gibt Chancen dafür, dass der Bau im nächsten Jahr beginnt und nach drei oder vier Jahren beendet wird. Das ist aber eine sehr optimistische Version. (...)
Einer der hervorragendsten Architekten der Gegenwart, Frank Gerhry, der auch das berühmte Guggenheim-Museum in Bilbao entworfen hat, hat sich damit einverstanden erklärt, die Pläne für das Gebäude zu erstellen. (...) Es wird davon ausgegangen, dass das Museum jährlich 250 000 Menschen besuchen werden.
Entstehen wird das Museum am "Denkmal für die Ghetto-Helden", im Zentrum des ehemaligen jüdischen Viertels, an einem Platz, den man als Kreuzung von Leben und Tod bezeichnen kann. Hier, in einer ehemaligen russischen Kaserne, war der Sitz des Judenrates und nach der Niederschlagung des Aufstandes im Ghetto das Konzentrationslager Warschau, wo tausende Juden, die aus Europa her gebracht wurden, arbeiteten, um in den Ruinen Dinge zu finden, die man noch gebrauchen konnte. Das Gebäude wurde in den sechziger Jahren abgerissen.
Bei archäologischen Arbeiten, die in der letzten Zeit dort durchgeführt wurden, wurden viele Gebrauchsgegenstände und in Kartons oder Lappen verpackte deutsche Plakate und Aushänge aus dem Jahr 1941 gefunden. Die Bewohner des Ghettos hatten sie vergraben, nachdem ihnen klar geworden war, dass die Vernichtung unabwendbar war. Als ob sie uns die Bitte hinterlassen hätten, sie nicht zu vergessen.
"Wir leben im Schatten des Holocaust, als ob nichts geschehen sei", sagt Ewa Junczyk- Ziomecka und fügt hinzu: "Die Nazis bauten in Polen Gaskammern, dann verschwanden sie, aber diese Kammern sind hier geblieben. Dieses Drama hat alles andere überschattet. Für die Juden ist es eine tragische und verfluchte Erde. Uns hat man Teile der gemeinsamen Geschichte genommen, und es gibt darin für beide Nationen viele Gründe stolz zu sein. Das Museum soll nun daran erinnern."
Diese Geschichte wird weder in den Schulen in Polen noch in Israel gelehrt. Die jungen Juden, die nach Auschwitz kommen, haben keine Ahnung davon, dass die Welt der Chassiden und ihrer Gegner aus dem Vilnaer Kreis von Garon, der Mitnagdim, hier ihre Wurzeln hatte. Sie wissen nicht, dass hier die jüdische Aufklärung, die "Haskala", einen fruchtbaren Boden fand und dass sich hier das größte Zentrum der jiddischen Kultur befand oder dass hier die Ideen des Zionismus mitbegründet wurden. Sie wissen nicht, dass die Mehrheit der ersten Mitglieder der Knesset Polnisch sprach und dass der Mitbegründer des Staates Israel – David Ben Gurion- in Plonsk geboren wurde und der legendäre Anführer der Zionisten-Revisionisten - Menachem Begin - in Brzesc (Brest - MD) zur Welt kam und an der Warschauer Universität studierte. Sie wissen aber auch nicht, dass der jetzige Oberrabbiner der Aschkenasim, Meir Lau, in Piotrkow zur Welt kam. (...)
Die polnischen Schüler erfahren nicht, dass die Juden vor dem Zweiten Weltkrieg zehn Prozent der Bevölkerung ausmachten. Gesprochen wird auch nicht über die jüdischen Wurzeln polnischer Schriftsteller, Dichter und Wissenschaftler, ohne die man sich unsere Kultur nur schwer vorstellen kann. Auf der Liste der Pflichtlektüre befindet sich kein Buch des Literatur-Nobelpreisträgers Isaak B. Singer, der die Krochmalna Straße berühmt gemacht hat. Die junge Generation weiß nicht, dass weltberühmte Menschen wie der Nobelpreisträger für Physik, Albert Michelson, der Industrielle André Citroen, der Gründer eines Kosmetikimperiums, Max Factor, und der Entdecker von Vitaminen, Kazimierz Funk, oder der große Mann von Hollywood, Samuel Goldwyn, in Polen das Licht der Welt erblickten.
Ohne die Juden wäre die Geschichte Polens ärmer, und die jüdische Geschichte ohne das polnische Erbe lässt sich überhaupt nicht verstehen. Ein multimediales Museum, das mit Bildern arbeitet, ist eine Chance, die Lücke in der Erinnerung der jungen Generationen zu füllen " Es kann die Denkweise sowohl auf polnischer als auch auf jüdischer Seite verändern. In diesem Sinne ist es eine gut überdachte Investition", erklärt Jerzy Halbersztadt.
Die Schöpfer des Museums haben nicht vor, schwierigen Themen zu umgehen, Spannungen und Konflikte zu verheimlichen. Am schlimmsten ist jedoch Ignoranz, weil sie den Nährboden für Fremdenfeindlichkeit bildet und den Dialog durch karrikaturhafte Klischees und gegenseitige Abneigung ersetzt.
"Das Museum wird das Gespräch über die Geschichte erleichtern und es auf die Ebene der Fakten führen, sagt Jerzy Halbersztadt und fügt hinzu: "Bei uns taucht die Problematik der polnisch-jüdischen Beziehungen immer wieder in seltsamer Verkleidung auf, insbesondere bei politischen Auseinandersetzungen. Das belastet das Bild Polens und versperrt den Weg zum intellektuellen und emotionalen Kontakt mit der Welt." (Sta)