Der Preis des Krieges
9. April 2013"Viele Iraker erleben es zum ersten Mal, dass sie ihre Meinung frei äußern, dass sie sich ungehindert politisch organisieren können", erklärte US-Außenminister John Kerry bei seinem jüngsten Besuch im Irak. "Doch", fügte er hinzu, "es wäre unredlich zu verschweigen, dass noch immer viel zu tun ist." Fest steht: zehn Jahre nach dem Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein sind weder die Lage im Irak noch die amerikanisch-irakischen Beziehungen so, wie es sich die Architekten des Krieges im Jahr 2003 vorgestellt hatten. Schwache Institutionen, Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und ein Erstarken der Terrorgruppe El Kaida kennzeichnen den Irak, in dem die Amerikaner so gut wie keinen Einfluss haben. Die US-Regierung - die vorige und die jetzige - sei daran mit Schuld, lautet die Kritik.
So hätten die Amerikaner in der Menschenrechtspolitik ein schlechtes Beispiel abgegeben, kritisiert Erin Evers von Human Rights Watch. Die erniedrigende Behandlung von irakischen Gefangenen im Abu-Ghraib-Gefängnis ist nur ein Beispiel dafür. "Vor 2002/2003 haben wir eine gewisse Glaubwürdigkeit in der Welt in Bezug auf Menschenrechte gehabt", sagt Evers. Das sei jetzt anders - und mache es der US-Regierung schwer, Menschenrechtsverletzungen im Irak anzuprangern. "Auch unter [Präsident] Obama haben wir keine Verbesserungen gesehen", so Evers, "er hat 2009 beschlossen, keine der höheren Vorgesetzten [für Abu Ghraib] zur Verantwortung zu ziehen, das war ein großer Fehler."
Truppenabkommen gescheitert
10.500 Amerikaner sind derzeit noch mit offizieller Mission im Irak: diplomatisches Personal und Mitarbeiter privater Firmen, die für Sicherheit, Verpflegung und andere administrative Unterstützung sorgen. Zum Ende des Jahres sollen es nur noch rund 5100 sein, etwa ein Fünftel davon Diplomaten. Soldaten, die für Sicherheit sorgen könnten, sind schon seit Ende 2011 keine mehr im Land. Die Verhandlungen über ein Truppenabkommen scheiterten an der Frage der Immunität für die US-Soldaten. Schuld daran sei die Obama-Regierung, sagt Politikprofessor Peter Feaver von der Duke Universität. "Ministerpräsident Maliki war bereit, die Immunität zu garantieren, aber der US-Anwalt bestand darauf, dass sie vom Parlament bestätigt wird." Der Iraker aber habe nicht geglaubt, dies durchsetzen zu können und so seien die Verhandlungen am Ende geplatzt.
So ist die Sicherheitslage im Land prekär. Es gibt immer wieder Terrorangriffe mit Todesopfern, besonders gespannt ist die Lage jetzt, vor Wahlen in 18 der 20 Provinzen, die am 20. April stattfinden sollen. Und nur der Sturz von Saddam Hussein allein habe die Lage der Menschen nicht verbessert, sagt Erin Evers: "Ja, sagen die Leute, unter Saddam war es schrecklich, aber es gab nur einen Feind und wenn man sich da von der Politik ferngehalten hat, konnte man ein halbwegs normales Leben führen." Jetzt dagegen sei die Gefahrenlage viel unübersichtlicher und wirke sich auf jeden Lebensbereich aus.
US-Bevölkerung gespalten
Jim Phillips von der konservativen Heritage Foundation widerspricht. "Wenn die USA vor zehn Jahren nicht eingegriffen hätten und Saddam Hussein noch an der Macht wäre, dann wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass in den letzten Jahren noch mehr Iraker getötet worden wären, und es hätte vielleicht einen weiteren Krieg gegeben." In der Einschätzung des Irakkrieges sind die Amerikaner genauso gespalten wie die Experten. Nach einer Umfrage des Pew Instituts sagen 44 Prozent, es sei falsch gewesen, in den Krieg zu ziehen, 41 Prozent halten es für die richtige Entscheidung. Und während 46 Prozent der Ansicht sind, die USA hätten ihre Ziele im Großen und Ganzen erreicht, sagen 43 Prozent, die Amerikaner seien mehr oder weniger gescheitert.
Diese Stimmung entspricht in etwa der von 2008, als Barack Obama unter anderem wegen seiner Opposition zum Irakkrieg die Präsidentschaftswahl gewann. Er versprach, den Irakkrieg zu beenden und hielt Wort. Die Republikaner dagegen mussten einen herben Imageverlust hinnehmen. "Jahrzehntelang", so der Politologe Feaver, "waren die Republikaner im Vorteil, wenn es um nationale Sicherheit ging: dann bekamen sie die Stimmen, bei innenpolitischen Fragen wie Krankenversicherung konnten die Demokraten punkten." Als Folge des Irakkriegs gebe es jetzt innerhalb der republikanischen Partei eine "ziemlich heftige Debatte" über die Zukunft der US-Außenpolitik.
Hoher Preis gezahlt
Währenddessen erinnert US-Präsident Obama in einer Stellungnahme zum zehnten Jahrestags des Kriegsbeginns vor allem an die Opfer auf Seiten der Amerikaner, an mehr als 4500 Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatz im Irak ihr Leben ließen, "um den Irakern die Möglichkeit zu geben, nach vielen schweren Jahren ihr eigenes Schicksal zu bestimmen". In der schriftlich verbreiteten Erklärung heißt es weiter: "Wir ehren den Mut und die Entschlossenheit von mehr als 1,5 Millionen Angehörigen des US-Militärs und Zivilisten, die mit mehrfachen Einsätzen eines der bemerkenswertesten Kapitel des Militärdienstes geschrieben haben."
Die Amerikaner haben einen hohen Preis für ihren Einmarsch in den Irak bezahlt. Da sind zum einen die massiven finanziellen Kosten, die sich nach der jüngsten Studie der Brown Universität auf über 2200 Milliarden US-Dollar belaufen werden. Hinzu kommt: "Das Ansehen der USA in der arabischen Welt hat gelitten", sagt Jim Phillips, "und das Verhältnis zu den Alliierten in Europa wurde strapaziert."
Und die Amerikaner sind vorsichtig geworden, was Militäreinsätze angeht, wie sich derzeit in der Zurückhaltung in Syrien zeigt. Ein abschließendes Urteil über den Krieg, sagt der Politologe Feaver, stehe zwar noch aus. Und hängt auch davon ab, wie sich der Irak weiter entwickelt. Eine Lehre aber stehe laut Phillips jetzt schon fest: "Es kann schwieriger sein, den Frieden zu gewinnen, als den Krieg".