Empathie im Gesundheitswesen
20. April 2015Mediziner sollen für unsere Leiden ein offenes Ohr haben, verstehen, was uns fehlt und sich um uns kümmern. Erwartungen, die unsere Großeltern bereits als Kinder hatten und die sich bis heute nicht geändert haben. Inzwischen belegen Studien den heilungsbeschleunigenden Effekt der Empathie, der Einfühlungsvermögens.
Doch viele Krankenhäuser geraten immer stärker unter ökonomischen Druck. Die Folge: Personal wird eingespart, Zeitdruck und Stress nehmen zu. Arbeitsschritte, die medizinisch nicht offenkundig notwendig sind, werden weggelassen. Auch die Kommunikation fällt der zunehmenden Rationalisierung zum Opfer. Aber einfühlsame Gespräche brauchen Zeit. Darüber diskutierte auch der Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands auf seiner Jahrestagung am 16./17. April in Rostock-Warnemünde.
"Die Bedeutung der Empathie und das Bewusstsein dafür nehmen stetig zu. Beispielsweise haben sich die monatlichen Suchanfragen nach 'Empathie' bei Google in den letzten zwei Jahren von 30.000 auf über 60.000 mehr als verdoppelt“, weiß Empathietrainer Carlo Düllings. Auch Professor Andreas Götte, Chefarzt der Kardiologie am St. Vincenz Krankenhaus Paderborn, kann dies aus seiner Erfahrung bestätigen: "Das medizinische System war vor 20, 30 Jahren deutlich autoritärer. Was der Professor sagte, wurde getan und nicht hinterfragt. Heute wird viel mehr diskutiert, und um hierbei eine richtige Kommunikationsebene zu schaffen, braucht man Empathie."
Mit Empathie Leben retten
Im Patientenverhältnis ist Empathie vor allem zum Aufbau einer Vertrauensbasis wichtig. Vertrauen spielt wiederum eine entscheidende Rolle im Umgang mit kranken Kindern und deren Eltern sowie bei Todesängsten, beispielsweise bei Krebs- oder Herzinfarktpatienten. Aus Angst werden hier manchmal sogar lebensnotwendige Eingriffe abgelehnt. "Ich erinnere mich an einen jungen Patienten, der einen schweren Herzinfarkt erlitten hatte, aber trotzdem keinen Herzkatheter wollte, weil er einfach Angst hatte." Ohne Empathie hätte Götte den Patienten nicht von dem Eingriff überzeugen können und ohne den Eingriff wäre der Mann wahrscheinlich gestorben.
Mit Empathie funktioniert auch das Teamwork besser, ist Götte überzeugt: "Ich glaube, dass es immer besser ist, wenn man miteinander vernünftig umgeht, dann sind alle motivierter. Und Motivation reduziert Fehler und produziert bessere Qualität." 2009 ermittelte das Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen KPMG in einer Konfliktkostenstudie, dass Mitarbeiter durchschnittlich zehn bis 15 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Konflikten verbringen. Bei Führungskräften sind es sogar 30 bis 50 Prozent. Studien wie diese rücken Empathie immer stärker ins Zentrum der Personalanforderungen.
"Heute stehen der Teamgedanke und die Soft Skills eines Menschen viel mehr im Vordergrund. Alleine, dass wir solche Begriffe gebrauchen, zeigt, dass wir von jungen Ärzten deutlich mehr in diese Richtung verlangen und erwarten“, sagt Götte. Zurzeit wird Empathie im Medizinstudium jedoch nicht gesondert als Fach unterrichtet. Hier sieht der Kardiologe eine Verbesserungschance: "Ich fände gut, wenn empathische Kommunikation systematischer gelehrt werden würde, da sonst jeder Arzt darauf angewiesen ist, dass er einen Vorgesetzten hat, der ihm Empathie vermittelt."
Nicht nur im Arzt-Patienten-Verhältnis
Die Bedeutung der sozialen Fähigkeiten für unsere heutige Arbeitswelt wird inzwischen auch von vielen Hochschulen erkannt. Spezielle Einrichtungen, so genannte Career Center, sollen die Studenten auf diese neuen Anforderungen vorbereiten, indem sie Workshops und Seminare durchführen, bei denen es nicht um fachlich-inhaltliches Wissen geht, sondern um Soft Skills. "Hierbei geht es jedoch vor allem um Trainings zur Bewerbung und für den Berufseinstieg. Auch Kurse wie Rhetorik und Zeitmanagement hat man öfter", kann Carlo Düllings aus seiner Erfahrung als Lehrbeauftragter mehrerer deutscher Hochschulen berichten, "es gibt jedoch nur wenige, die ganz speziell Empathietraining anbieten."
Empathietraining ist Düllings Fachgebiet. Zur Auswahl stehen eine ganze Reihe unterschiedlicher Methoden. Hierzu gehören Meditationen, Mimikerkennung und spezielle Gesprächstechniken, wie die Gewaltfreie Kommunikation. Düllings favorisiert das Humm-Wadsworth-Persönlichkeitsmodell: "In meinen Trainings geht es zunächst darum, Menschen zuverlässiger und schneller einschätzen zu können. Erst im nächsten Schritt kann man sich dann auf sein individuelles Gegenüber einlassen und entsprechend kommunizieren."
Wir alle können dazu beitragen, ein harmonischeres Miteinander zu erreichen, appelliert Düllings: "Jeder kann seine Empathie steigern, wenn er sich ein bisschen damit beschäftigt. Losgehen kann es schon mit einer Internetrecherche zu dem Thema". und auch Professor Götte sieht den Einzelnen in der Verantwortung: "Man kann einen Teil von Empathie trainieren, aber ein Teil davon sollte aus dem Arzt selber kommen. Er muss versuchen, es im Alltäglichen vorzuleben und er muss offen dafür sein, einen entsprechenden Umgang zu pflegen."