Die Kunst des Fremdenführens in Wien
21. Februar 2017Mit 15 Millionen Gästeübernachtungen hat Wien 2016 ein Plus von 4,4 Prozent verzeichnet. Die Stadt hat sich unter anderem mit einem immensen Aufgebot von 900 gründlich ausgebildeten Fremdenführern auf den weiter wachsenden Zuspruch der Ausländer eingestellt. "Wir bieten rund 400 verschiedene Themen für Führungen an. Diese Vielfalt ist weltweit einmalig", sagt Christa Bauer, Präsidentin des Vereins der geprüften Wiener Fremdenführer.
Dazu gehören Touren über die Geschichte der Steuer, über Lust und Erotik und Touren in einer gemieteten Luxus-Limousine inklusive Fremdenführer. Anlässlich des Weltgästeführer-Tages gibt es in Wien kostenlose Führungen im Kunsthistorischen Museum und in der Nationalbibliothek. Den Tag ins Leben gerufen hat der in Wien gegründete Weltverband der Gästeführer (World Federation of Tourist Guide Associations, kurz WFTGA). Dessen Ziel ist es, Anbieter von Tourismusangeboten auf einen hohen ethischen und professionellen Standard zu bringen. Der seit rund 25 Jahren einmal im Jahr derart hofierte Fremdenführer ist zumindest in Wien eine besondere Spezies.
Wer die Stadt professionell den Gästen zeigen will, muss in Österreich in der Regel eine vier Semester dauernde, dem Bachelor vergleichbare Ausbildung durchlaufen. Da geht es um Geschichte, Kunstgeschichte, Musik und Geografie genauso wie um die Präsentation des Wissens und die Sicherheit einer Gruppe. "Wir sind nicht fleischgewordene Schirmständer, sondern haben einen Ruf zu verteidigen", sagt Bauer. Jedenfalls in Österreich.
In Deutschland ist die Qualifikation nicht staatlich geregelt. Aber der Bundesverband der Gästeführer setzt sich für eine Zertifizierung ein. Die 6500 beim Verband gemeldeten Mitglieder hätten zumindest eine vielstündige Grundschulung. 700 von ihnen verfügten sogar nach 600 Stunden Ausbildung über ein großes Zertifikat, das sie als besonders geschulte Gästeführer ausweise, sagt Verbandssprecherin Sonja Wagenbrenner.
Stadtführung gegen den Strich
Eugene Quinn führt einmal im Monat an Architektur interessierte Besucher zu Wiens Bausünden, also durch das "hässliche Wien". Zu 19 Gebäuden bringt er seine Gäste, darunter die gewaltigen, unsprengbaren Flaktürme aus dem Zweiten Weltkrieg, das mit Spermien und weinenden Frauen bemalte Haus der Zeit, der millionenteure Dachgeschossausbau ganz aus Glas, der aussieht als sei "ein Ufo auf einem Altbau gelandet". Quinn sagt, dass er Wien liebt. Die Führung "Vienna Ugly" sei sein Beitrag, die wegen ihrer Schönheit berühmte Stadt hipper und cooler wirken zu lassen. Eine spezielle Ausbildung hat der 49-jährige Brite nicht. Deshalb agiert er in einer inzwischen von der Stadt geduldeten Grauzone. Zweimal habe er früher eine Strafgebühr von je 380 Euro zahlen müssen, erzählt er nicht unzufrieden. Denn der Rummel über die Strafe führte dazu, dass zur nächsten - meist englischsprachigen - Führung mehr als 100 Leute kamen. Die standen unter anderem vor einem Bauwerk von Star-Architekt Hans Hollein. Der erinnert Quinn wegen seiner wenig harmonischen Gliederung an einen "explodierenden Kebab". Das Gesundheitsministerium mit seiner blau-grünen Fassade und den Ecktürmen sehe dagegen aus wie ein "Parkhaus in Dubai", meint Quinn. Seine Definition von hässlich habe nichts mit grauer schlichter Architektur zu tun. Die sei allenfalls langweilig. "Hässlich ist, wenn man etwas Tolles wollte und spektakulär gescheitert ist."Während die Stadt bei Quinn nun ein Auge zudrückt, gilt das nicht für all diejenigen, die mal so eben ihrer Gruppe den Stephansdom zeigen wollen. Nur wer im Herkunftsland ein echter Fremdenführer sei, dürfe fallweise auch im EU-Ausland eine Sightseeing-Tour leiten, sagt Bauer mit Blick auf Bustouren mit selbsternannten Guides. Wer dagegen verstoße, dem drohten Abmahnungen und der Abbruch der Führung. "In Italien ist das noch strenger. Dort erhalten Ausländer fallweise nur eine Genehmigung für eine bestimmte Region - wie zum Beispiel Venedig."
Matthias Röder (dpa)