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Triumph der Kritiker

Heiner Kiesel/ Kay-Alexander Scholz 14. März 2016

Der Aufstieg der AfD sorgt für Verunsicherung. Die Kritiker von Kanzlerin Angela Merkel drängen auf eine Kursänderung in der Flüchtlingspolitik. Nicht alle machen es sich so einfach wie CSU-Chef Horst Seehofer.

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Horst Seehofer
Müde und bedrückt: CSU-Chef Horst Seehofer macht sich nach den Landtagswahlen Sorgen über den Fortbestand der UnionsparteienBild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Das haben alle gemeinsam: Tiefe Ringe unter den Augen, wenig Schlaf und ein verbissener Kampf um die Deutungshoheit der Landtagswahlen. Einen Tag, nachdem in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gewählt wurde, macht sich das Gefühl breit, dass nichts mehr ist, wie es einmal war. Der rasante Aufstieg der rechtspopulistischen AfD sorgt für Verunsicherung bei den etablierten Parteien. Viele fragen sich, wie eine Partei mit simplen Antworten und einem dünnen Programm so abräumen konnte.

CSU sieht Bestand der Union gefährdet

Zu denjenigen, die sofort eine Antwort parat haben, gehört CSU-Chef Horst Seehofer. Er hatte den, beziehungsweise die Schuldige schon im vorhinein ausgemacht. Für ihn ist der Kurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingskrise die Ursache für die CDU-Niederlagen bei den Landtagswahlen.

"Der zentrale Grund ist die Flüchtlingspolitik. Es hat keinen Sinn, daran vorbeizureden", sagte Seehofer vor einer CSU-Vorstandssitzung in München. Der bayerische Ministerpräsident forderte eine Kurskorrektur. Die Union werde lange brauchen, um die Entwicklung der vergangenen sechs Monate wieder wettzumachen. Es handele sich um eine "eine tektonische Verschiebung der politischen Landschaft" in Deutschland.

Für Seehofer ist es bitter, sich von einer politischen Formation bedroht zu sehen, die seine eigenen politischen Positionen in der Flüchtlingsfrage noch offener und unverblümter vertritt. Der konservative Politiker aus Bayern hatte immer wieder versucht, der Kanzlerin und ihrer humanitären Haltung Paroli zu bieten - obwohl seine Partei der Regierungskoalition angehört.

Merkel: Streit zwischen CDU und CSU für Wähler schwer auszuhalten

Kanzlerin Angela Merkel selbst kündigte angesichts des AfD-Erfolgs eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der rechtspopulistischen Partei an. "Alle waren sich einig, dass man sich argumentativ mit der AfD auseinandersetzen muss", sagte die CDU-Chefin in Berlin nach Sitzungen der Parteigremien gemeinsam mit den Spitzenkandidaten bei den Landtagswahlen. Bei den Stimmen für die AfD habe es sich um Protest gehandelt "im Blick auf die ungelöste Frage der vielen Flüchtlinge, auch Ängsten in Bezug auf die Integration". Es sei zudem um die Sorge vor dem Islam und die Frage der Inneren Sicherheit gegangen.

Kanzlerin Angela Merkel bei der Wahl-Nachlese (Foto: Reuters/F. Bensch)
Kanzlerin Merkel bei der Wahl-Nachlese in BerlinBild: Reuters/F. Bensch

Merkel sagte: "Trotz Licht und Schatten muss man sagen, dass gestern ein schwerer Tag für die CDU war." Die Tatsache, dass das Flüchtlingsthema in den Augen der Menschen "noch keiner abschließenden und zufriedenstellenden Lösung zugeführt ist", habe die Wahlen sehr stark bestimmt. Es sei in den CDU-Gremien nicht in Frage gestellt worden, dass eine europäische Lösung nötig sei und dass dies Zeit brauche. Die CDU-Vorsitzende räumte ein, die Differenzen zwischen CDU und CSU in dieser Frage "sind für die Wähler der Union immer auch schwer auszuhalten". Zugleich machte Merkel aber ihr Festhalten am Ziel einer europäischen Lösung in der Flüchtlingskrise deutlich.

SPD-Chef Gabriel gratuliert Dreyer

Bei den Sozialdemokraten zeigt sich die Katerstimmung nicht ganz so ausgeprägt wie bei der Union. Man kann immerhin auf einen Erfolg verweisen: Malu Dreyer, die bisherige Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, konnte ihre Spitzenposition verteidigen. Das stand im Vordergrund, als SPD-Chef Sigmar Gabriel mit einem Großaufgebot an prominenten Parteimitgliedern vor die Öffentlichkeit trat.

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SPD-Chef Gabriel mit Dreyer in Rheinland-PfalzBild: picture-alliance/dpa/Ch.Schmidt

"Alle wollten Dich als Ministerpräsidentin behalten", sagte Gabriel zu Dreyer am Vormittag. Es hätte sich in Dreyers Land gezeigt, dass sich eine klare Linie in der Flüchtlingspolitik auszahle. "Wir haben seit 2005 nirgendwo eine Landtagswahl verloren", betonte Gabriel. Zum Problem mit der AfD bemerkte er, dass seine Partei alles dafür tun werde, das demokratische Zentrum in Deutschland stabil zu halten.

Linke fordert gemeinsamen Kampf gegen die AfD

Nicht nur die CDU hat zehntausende Wähler an die Rechtspopulisten verloren. Auch die Linke zählt zu den Wahlverlierern: In Sachsen-Anhalt wurde die Partei von der AfD auf den Dritten Platz abgedrängt. "Drei Viertel der AfD-Wähler erwarten inhaltlich rein gar nichts von denen", analysiert der Linken-Spitzenkandidat für Sachsen-Anhalt, Wulf Gallert. Es sei ihnen darum gegangen, "denen da oben" einen Denkzettel zu verpassen.

Die Linken-Parteivorsitzende Katja Kipping wirkte frustriert: "Der gestrige Tag war kein guter Tag für das Land." Es sei kein Ausweg, an einem Ähnlichkeitswettbewerb für die AfD teilzunehmen, kritisierte sie und verwies auf derartige Tendenzen in der Union. Kipping forderte ein "breites gesellschaftliches Bündnis gegen den Rechtsruck": "Mit der AfD ist nicht einfach eine Partei gewählt worden, die keine Lösungen anbietet, sondern eine Partei, die zumindest in Teilen faschistisch orientiert ist", sagte sie.

Hoffnung auf ein liberales Comeback

Wahlsieger ist auch die FDP. Die Liberalen in Deutschland konnten sich in Baden-Württemberg behaupten und auf 8,3 Prozent zulegen. In Rheinland-Pfalz gelang mit 6,2 Prozent der Wiedereinzug in den Landtag. Nur in Sachsen-Anhalt gelang das knapp nicht, aber auch dort gab es Stimmengewinne von 3,8 auf 4,9 Prozent.

Die FDP sei dabei, sich als neuer zurückgekehrter politischer Faktor zu etablieren, sagte FDP-Chef Christian Lindner in Berlin. In Anspielung auf mögliche Dreierbündnisse in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg erklärte Lindner, man werde sich nicht für ein "Linsengericht" die Inhalte abnehmen lassen, für die man in den Wahlkämpfen gestritten habe. Prinzipien und Projekte dürften nicht verraten werden. Dies sei eine Lernerfahrung aus der schwarz-gelben Koalition im Bund zwischen 2009 und 2013, die mit einem Rausschmiss aus dem Bundestag endete.

Auch das Flüchtlingsmanagement kritisierte der FDP-Vorsitzende. Die Bürger seien die Symboldebatten und die gegenseitigen Schuldzuweisungen leid, die Regierung müsse sich nun endlich zusammenraufen. Eine strategische Einwanderungspolitik sei nötig, aber es fehle der politische Mut für ein Einwanderungsgesetz.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki nutzte die Wahlergebnisse ebenfalls, um sich von der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel und der CDU abzusetzen: "Die Tatsache, dass die AfD in allen Ländern so dramatisch gut abgeschnitten hat, ist ja ein Beleg dafür, dass viele Menschen das Gefühl haben, dass die Aussage der Kanzlerin 'Wir schaffen das' nicht unterlegt ist mit einer weiteren Erklärung, was das denn bedeuten soll", sagte Kubicki. "Wenn die Kanzlerin den gestrigen Abend richtig verstanden hat, dann wird sie ihre Politik auch korrigieren."

AfD sieht sich breit in Gesellschaft verankert

Führende Vertreter der AfD traten inzwischen in der Bundespressekonferenz auf. Der Co-Vorsitzende Jörg Meuthen erklärte dabei, die AfD sei eine feste politische Kraft und breit verankert in der Gesellschaft. "Unsere Wähler bilden einen ganz guten Querschnitt der Bevölkerung ab", sagte Meuthen in Berlin. Die anderen Parteien müssten sich nun daran gewöhnen, "dass sich eine neue konservative, freiheitliche, bürgerliche und weltoffen-patriotische Kraft in Deutschland etabliert". Meuthen ist der AfD-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg.