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Tschechien: Skoda-Krise gefährdet Wirtschaft

2. November 2021

Tschechiens größter Autohersteller musste wegen fehlender Mikrochips zeitweilig die Produktion einstellen. Nun wurde sie wieder aufgenommen - aber niemand weiß, für wie lange, da weiter Teile und Rohstoffe fehlen.

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Tschechien Mlada Boleslav Automobilhersteller Skoda
Das Haupttor der Skoda-Fabrik in der tschechischen Stadt Mlada BoleslavBild: DW/T. Gosling

Die Automobilproduktion ist ein wesentlicher Stützpfeiler der Wirtschaft in der Tschechischen Republik: Die Werke von Skoda (VW-Konzern), Toyota und Hyundai produzieren bei voller Auslastung mehr als 1,3 Millionen Autos pro Jahr, die Autoindustrie des Zehn-Millionen-Landes beschäftigt rund 120.000 Menschen und Kraftfahrzeuge machen 53 Prozent aller tschechischen Exporte aus. Entsprechend gehören die Automobilunternehmen auch zu den größten Steuerzahlern des EU-Mitgliedsstaates.

Nach einem schwierigen Corona-Jahr - Tschechien gehörte zeitweilig zu den am stärksten betroffenen Ländern der Welt - schien es, als würde die Autoindustrie wieder in Schwung kommen und die Autohersteller in der Tschechischen Republik würden es schaffen, wieder das Niveau der Vorkrisenproduktion zu erreichen.

Radek Spicar
Radek Spicar, Vizepräsident des Verbands für Industrie und Verkehr der Tschechischen RepublikBild: Archiv Radek Špicar

Doch schon im Sommer kam die Produktion wieder ins Stocken - diesmal aufgrund eines Mangels an Mikrochips für die Steuerung der Fahrzeuge. Am 18. Oktober musste das Flaggschiff der tschechischen Wirtschaft, Skoda, das allein im Rekordjahr 2019 mehr als 900.000 Fahrzeuge produziert hatte, die Arbeit ganz einstellen. Die Mitarbeiter blieben zu Hause und erhielten dafür nur noch 80 Prozent ihres Durchschnittsgehalts. Zwar konnte Skoda nach einer Mikrochip-Lieferung aus Malaysia die Arbeit am vergangenen Sonntag vorerst wieder aufnehmen. Aber nicht nur die Steuerungselemente sind weiterhin knapp, es fehlt auch an Rohstoffen wie Magnesium.

"Skoda allein erwirtschaftet fünf Prozent des tschechischen Bruttoinlandsproduktes, und jede Stilllegung bei dem Autobauer hat enorme wirtschaftliche Folgen, auch für die umfangreiche Zulieferkette", sagt Radek Spicar, Vizepräsident des Verbands für Industrie und Verkehr und anerkannter Experte für die Automobilindustrie, der DW. "Der Grund für die Schwierigkeiten ist, dass Skoda Mikrochips aus Malaysia bezieht, das wegen der Corona-Pandemie seine Chip-Produktionsstätten geschlossen hat", so Spicar weiter.

Subventionen statt Staatseinnahmen

"Die Situation der Automobilhersteller ist unterschiedlich, je nachdem, woher sie ihre Chips beziehen", fügt Spicar hinzu. Die tschechische Tochter von Hyundai sei derzeit in der besten Position, da es ihr gelungen sei, eine Einschränkung oder gar Einstellung der Produktion vorerst zu vermeiden. Die koreanische Muttergesellschaft hat angekündigt, etwaigen Problemen durch die Herstellung eigener Chips entgegenzuwirken.

Tschechien | Skoda Produktion in Mlada Boleslav
Skoda investiert in hochmoderne Produktionsanlagen - hier die neue Lackierstraße in Mlada BoleslavBild: Radek Petrasek/CTK/dpa/picture alliance

Der Produktionsstopp bei Skoda bedeutet, dass das größte Unternehmen im Land die Regierung um finanzielle Hilfe bitten muss, statt über Steuern einen gewichtigen Beitrag zum Staatshaushalt zu leisten. Das gilt auch für Hunderte kleinerer Unternehmen, die Teile für Skoda und andere Autohersteller produzieren und liefern.

10,2 Milliarden Euro weniger Umsatz

"Vergangenes Jahr haben wir trotz COVID-19 etwa 1,3 Millionen Fahrzeuge produziert - und wir hofften bisher, das zu übertreffen. Die aktuelle Schätzung liegt nun bei rund einer Million Fahrzeuge", sagt Zdenek Petzl, Geschäftsführer des Verbands der Automobilindustrie. Laut Petzl wird die tschechische Autoindustrie im Vergleich zum Vorjahr etwa 10,2 Milliarden Euro weniger Umsatz machen. Petzl meint, die ausgebliebenen Mikrochip-Lieferungen würden sich am stärksten auf die Zulieferbetriebe auswirken. Sie beschäftigen sechsmal so viele Menschen wie die Automobilunternehmen selbst.

Zdenek Petzl
Zdenek Petzl, Geschäftsführer des Verbands der tschechischen AutomobilindustrieBild: Spcr.cz

Am 18. Oktober vereinbarte die amtierende tschechische Regierung bei einem Treffen mit Gewerkschaften und Arbeitgebern eine vorübergehende Unterstützung für die Automobilindustrie. "Wir werden der Branche und auch den nachgelagerten Bereichen der Wirtschaft Hilfestellung geben", so Noch-Premierminister Andrej Babis auf einer Pressekonferenz. "Der staatliche Beitrag wird 60 Prozent des den Arbeitnehmern gezahlten Lohnes betragen", sagte der auch anwesende Karel Havlicek, der amtierende Minister für Industrie und Verkehr.

Schlüsselsektor der tschechischen Wirtschaft

"Wir halten das für fair, denn es handelt sich um einen Schlüsselsektor der tschechischen Wirtschaft, der zehn Prozent des BIP erwirtschaftet. Zudem wären ohne Hilfen 100.000 Arbeitsplätze gefährdet", fügte Havlicek hinzu. Die Regierung in Prag wird am kommenden Montag eine endgültige Entscheidung über den Start des Förderprogramms treffen. An diesem Tag tritt das am 9. Oktober gewählte Parlament erstmalig zusammen und Premier Babis zurück.

Andrej Babis
Tschechiens amtierender Premierminister Andrej BabisBild: Petr David Josek/AP/dpa/picture alliance

Die Notwendigkeit, der Automobilindustrie unter die Arme zu greifen, sieht auch der Automobilexperte Radek Spicar: "Das Kurzarbeiterprogramm ist genau für Situationen gedacht, in denen ein Wirtschaftszweig in Schwierigkeiten gerät, die er nicht verursacht hat, um den Erhalt von Arbeitsplätzen bei langfristigen Arbeitgebern zu unterstützen. Wir glauben, dass es aktiviert werden sollte." Vorerst aber müssten die Beihilfen für Skoda erst einmal vom Parlament und von der Europäischen Union genehmigt werden.

Schwieriger Übergang zur Elektromobilität

Die derzeitige Halbleiterkrise ist nur ein Vorbote der Probleme, vor denen die Automobilindustrie in Tschechien in den kommenden Jahren stehen wird. Im Rahmen des Green-Deal-Programms der EU, das eine CO2-Neutralität bis 2050 erreichen will, müssen die Autobauer in Tschechien von der derzeit dominierenden Produktion konventioneller Autos auf Elektrofahrzeuge umstellen.

"Aus unserer Sicht gibt es leider keinen anderen Weg als die Elektrifizierung, um eine ausreichende CO2-Reduzierung zu erreichen", sagte Michal Kadera, Direktor für Außenbeziehungen bei Skoda, dem Portal Deník.cz. "Aber das wird sehr anspruchsvoll und teuer werden." Kadera fügt hinzu, dass Skoda in der EU bereits bis 2030 mehr Elektroautos als Autos mit Verbrennungsmotoren verkaufen will.

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Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag