Konflikt der Muslimbrüder
11. Mai 2012Die Muslimbrüder demonstrierten zwar nicht mit den anderen Regime-Gegnern auf dem Tahrir-Platz gegen den Staatsapparat von Ex-Präsident Hosni Mubarak. Doch seit ihrer Gründung 1928 standen sie stets in der Opposition zu den Herrschenden und konnten bei Fehlentscheidungen und Versagen auf die Regierung zeigen. Dafür wurde die Partei "Freiheit und Gerechtigkeit" (FJP) der Muslimbruderschaft nach dem Sturz des alten Regimes bei den ersten Parlamentswahlen vom November 2011 mit 46 Prozent der Wählerstimmen belohnt.
Aber sie scheinen derzeit, im Vorfeld der anstehenden Präsidentschaftswahlen am 23. und 24. Mai, an Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren. Denn die Muslimbruderschaft, so die Ägypten-Expertin Annette Ranko vom GIGA Institut für Nahost-Studien in Hamburg, habe in den vergangenen Monaten Entscheidungen getroffen, die bei manchen Akteuren den Eindruck erhärteten, dass die Muslimbrüder lediglich ihre eigenen Interessen durchsetzen wollten. Dabei hätten die Muslimbrüder immer wieder betont, wie wichtig eine möglichst breite Teilnahme anderer Parteien für die Lösung der Probleme des Landes sei.
Mehrfach Versprechen gebrochen
Als es darum ging, die verfassungsgebende Versammlung zu wählen, beteuerten die Muslimbrüder immer wieder, dass diese nicht von Islamisten dominiert sein würde. Doch die Hälfte der 100 Vertreter wurden vom Parlament ernannt und somit hatten die FJP und die Salafisten-Partei die deutliche Mehrheit. Linke und Liberale warfen den Islamisten undemokratisches Verhalten vor, weil sie sich unterrepräsentiert fühlten. Schließlich setzte ein Verwaltungsgericht in Kairo Ägyptens verfassungsgebende Versammlung außer Kraft.
Dazu kommt, dass die Muslimbrüder bei jeder Gelegenheit betont hatten, keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten zu nominieren. Sie schlossen sogar den renommierten und liberalen Muslimbruder Abdel-Moneim Abdul-Futuh aus der Muslimbruderschaft aus, als dieser sich Ende 2011 selbst zum Kandidaten ausrief. Dann nominierten sie aber Vize-Chef Chairat Al-Schater. Was eigentlich klingt wie eine Selbstverständlichkeit, hat in Ägypten ein politisches Erdbeben ausgelöst. Nachdem Al-Schater und neun weitere von der Wahl ausgeschlossen wurden, schicken sie jetzt den erzkonservativen Mohammed Mursi ins Rennen. "Damit brechen die Muslimbrüder wiederholt ihre Versprechen und verlieren an Glaubwürdigkeit", sagt die ägyptische Politologin Sally Khalifa Isaac. Die Bevölkerung wisse nicht mehr, was sie glauben soll.
Islamisten gegen Islamisten
Lange Zeit war die Muslimbruderschaft die einzige islamische Kraft in der politischen Landschaft Ägyptens. Mittlerweile gewinnen aber auch andere islamistische Parteien an Popularität und Einfluss. "Salafisten, aber auch einzelne moderate Islamisten fürchten, dass die Muslimbruderschaft den politischen Islam auf sich monopolisieren will", sagt Ägypten-Expertin Annette Ranko. Daher herrsche derzeit eine starke Konkurrenz innerhalb der Islamisten. Kandidaten wie Abdul-Futuh, der ehemalige Muslimbruder, werden daher jetzt von den ultrakonservativen Salafisten unterstützt. Damit soll verhindert werden, dass Mohammed Mursi von der Muslimbruderschaft gewinnt. "Es tun sich neue strategische Allianzen zusammen, um das Gewicht der Muslimbruderschaft einzudämmen", sagt Annette Ranko.
Konfliktlinie Muslimbrüder - Militärrat
Hauptgrund für den Kurswechsel der Muslimbruderschaft ist der sich hochschaukelnde Machtkampf zwischen den Muslimbrüdern und dem herrschenden Militärrat unter Feldmarschall Mohammed Tantawi. Je mehr Kandidaten ins Rennen gehen, die den Einfluss des Militärrates eindämmen wollen, desto mehr fürchten die Generäle um ihre Privilegien. Bei den Präsidentschaftswahlen, geht es für den Militärrat um alles: die Sicherung ihrer wirtschaftlichen Interessen, eventuelle Strafverfolgung und den künftigen Einfluss auf Ägyptens Politik. Daher ist es für den Militärrat entscheidend, dass der neue Präsident ihnen wohl gesonnen ist.
Außerdem ist die FJP seit den Parlamentswahlen zwar die stärkste Kraft im Land, de facto hat aber der Militärrat das Sagen. Tantawi verkündet zwar immer wieder, er wolle die momentane Regierung absetzen, damit die Muslimbrüder die Geschäfte aufnehmen können, tut es aber nicht. Für die Muslimbrüder sei das ein Anzeichen dafür, dass der Militärrat seine politischen und militärischen Vorrechte in ein neues Ägypten übertragen wolle, sagt Annette Ranko vom GIGA-Institut.
Allein gegen die Probleme?
Derzeit scheinen sich die Muslimbrüder auf dem politischen Spielfeld zu isolieren – das zeigt sich an Konflikten mit anderen Islamisten, mit dem Militärrat und der Bevölkerung. Keiner, so die Politologin Sally Khalifa Isaac, sei an einer Monopolisierung der politischen Prozesse durch die Muslimbrüder interessiert. Angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage des Landes dürften die Muslimbrüder kaum ein Interesse daran haben, die alleinige politische Verantwortung für Ägypten zu übernehmen. Wenn doch, müssen sie ihren Anhängern beweisen, dass sie die Probleme auch alleine lösen können.