"Nueva Germania" in Paraguay
7. August 2013Der Philosoph Friedrich Nietzsche hatte sich einen anderen Ehemann für seine Schwester Elisabeth gewünscht. Doch Elisabeths Wahl war 1885 ausgerechnet auf Dr. Bernhard Förster gefallen. Der Berliner Gymnasiallehrer hatte sich im Wilhelminischen Kaiserreich einen üblen Ruf als Antisemit erworben. Infolge eines Skandals war er aus dem Schuldienst entfernt worden. Seitdem gerierte sich Förster als "Märtyrer". 1886 verließ er Deutschland – zusammen mit Elisabeth Förster-Nietzsche und einem Trupp aus 14 Familien, die das Überleben der vermeintlichen "arischen Rasse" sichern wollten.
Auf nach Paraguay
Das Ziel der Reise lautete Paraguay. Hier sollte der Mensch durch eine Lebensweise im Einklang mit der Natur und durch das Ablegen der "schlechten" Einflüsse der Zivilisation wieder "gesund" werden, hoffte Bernhard Förster. Ein bedeutender Teil seiner Ideologie bestand darin, alles vermeintlich Jüdische auszuschließen. Eine in seinen Augen "rassisch reine" Gesellschaft sollte deswegen weit weg von Deutschland gegründet werden. Auch sozialistische Ideen und der Vegetarismus sollten hier kultiviert werden, denn beide Ehepartner waren fanatische Vegetarier.
Der paraguayischen Regierung waren die Deutschen hochwillkommen. Das Land befand sich in einem katastrophalen Zustand. Nach dem sogenannten Triple-Allianz-Krieg mit Brasilien, Uruguay und Argentinien hatte Paraguay 1870 nicht nur 50 Prozent seines Staatsgebietes eingebüßt, sondern, viel schlimmer, auch 80 Prozent aller wehrfähigen Männer verloren. Kein Wunder, dass das Land investitionsfreudige Siedler mit offenen Armen begrüßte.
"Nueva Germania" wurde 1887 als erste Privatkolonie Paraguays aus der Taufe gehoben. Ausschließlich Deutsche durften sich hier niederlassen. Die Regierung Paraguays hatte dem "Neuen Germanien" über 20.000 Hektar Land zur Verfügung gestellt, etwa 90 Kilometer südöstlich der Stadt Concepción. Vorsichtig formuliert waren die ersten Monate und Jahre der Kolonie wohl beschwerlich. Seuchen und Parasiten suchten die Kolonisten heim, die Ernteerträge waren jämmerlich. Der Rassist Förster indoktrinierte die Kolonisten nach Kräften mit seinen kruden Vorstellungen. Bereits auf der Überfahrt von Deutschland hatte er Vorträge mit den Titeln "Reinigung und Wiedergeburt der menschlichen Rasse" oder "Rettung der Menschheitskultur" gehalten.
Werbung für die Kolonie
Vorausschauend hatte die Regierung Paraguays in ihren Vertrag mit Förster einen Paragraphen aufgenommen, nach dem binnen zwei Jahren 140 deutsche Familien in der Kolonie leben müssten. Andernfalls wäre die Überlassung des Landes nichtig geworden. Förster musste in Deutschland also kräftig Werbung machen: einerseits für neue Siedler, andererseits um Geldspenden zu erhalten. Einer jedoch verwehrte vehement jede finanzielle Unterstützung: Friedrich Nietzsche, der den Antisemitismus ablehnte. Dabei versuchte seine Schwester durchaus, ihn zu locken. Sie schlug vor, ein Gebiet der Kolonie nach ihrem Bruder zu nennen: "Friedrichshain". Doch Nietzsche spöttelte nur, sie sollten es doch "Lamaland" taufen. "Lama" war Nietzsches Spitzname für seine Schwester.
Der Philosoph war gut beraten, kein Geld in das Projekt zu stecken. Denn nach zwei Jahren war dort nichts vorangekommen. Während die Försters luxuriös im sogenannten "Försterhof" residierten, lebten die übrigen Siedler unter sehr einfachen Bedingungen. Elisabeth sprach gar davon, "Nueva Germania" sei ihr Fürstentum. Ihr Mann entwickelte unterdessen eine ungesunde Leidenschaft für den Alkohol. Nachdem 1889 ein Enthüllungsbericht über die wahren Zustände in der Kolonie erschienen war, nahm sich Bernhard Förster das Leben. "Nueva Germania" existierte allerdings weiter, auch nachdem seine Frau Elisabeth nach Deutschland zurückgekehrt war. Noch heute leben dort Nachfahren jener Siedler, die Förster aus Deutschland in den Dschungel verpflanzen wollten. Manche von ihnen haben Einheimische geheiratet und damit eines bewiesen: Bernhard Försters schaurige Rassenpropaganda hatte hier keinen Erfolg.