Die Hüter der Pharmazeutika
Ein neues Arzneimittel zu entwickeln, kostet Zeit und Geld. Bis zu zehn Jahre kann es dauern, bis eine Substanz nachweisbar Wirkung zeigt - nur ein Bruchteil erhält letztendlich das Etikett "tauglich" und wird klinisch erprobt. Umso größer ist der Druck auf Ärzte und Forschungsinstitute, den klinischen Studien einen positiven Dreh zu geben. Ist die potentielle Wirksamkeit erwiesen, dann wird ein Antrag auf Zulassung gestellt. In der Europäischen Union gibt es drei Möglichkeiten, das neue Medikament auf den Markt zu bringen.
Erstens: Die Zulassung im eigenen Land
In Deutschland ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) dafür zuständig. Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit sind die Prüfkriterien. Rund 2000 Anträge auf Zulassung treffen im Jahr bei der Bonner Behörde ein. Im Schlepptau: mehrere Meter Aktenordner. 90 Tage sollen laut Gesetz ausreichen, um die 150 und mehr Ordner zu studieren. Doch nicht selten wurschtelt das BfArM anderthalb Jahre und länger vor sich hin. Grund: chronische Überlastung am Rande des Kollaps. Ursache: struktuelle Defizite.
Der Zwangsumsiedlung des Instituts von Berlin in die Ex-Bundeshauptstadt Bonn hatte einen Aderlass an medizinisch-technischem Personal zur Folge. Auch die Arbeitsbedingungen in Bonn sind eher provisorisch. Obendrein hat die Behörde einen Berg von "Altlasten" abzuarbeiten: Alle Medikamente, die vor 1978 auf den Markt kamen, müssen ebenfalls auf Unbedenklichkeit geprüft werden. Rund 20.000 dieser Altpräparate haben noch immer kein Zertifikat. "Wirksamkeit nicht erwiesen", witzelt die Pharmaindustrie über das BfArM und schaut sich um nach Alternativen.
Zweitens: Die gegenseitige Anerkennung
Im Prinzip reicht es, wenn ein Medikament in irgendeinem EU-Land die Zulassung erhält. Denn dann müssen alle anderen Mitgliedsländer innerhalb von 90 Tagen nachziehen. Viele Pharmaunternehmen gehen diesen Weg des geringsten Widerstands und wählen die schnellste - oder auch die am wenigsten strenge - Behörde. Denn jeder Tag, der ohne Zulassung verstreicht, bringt Verluste: Pharmapatente sind kostbar und kostspielig.
Drittens: Die europaweite Zulassung durch die EMEA
Die Europäische Arzneimittelagentur EMEA (European Agency for the Evaluation of Medicinal Products) ist vor allem auf Hightech-Arzneimittel spezialisiert. Das zentrale Zulassungsverfahren ist Pflicht für gentechnisch hergestellte Medikamente. Rund 50 solcher Anträge bearbeitet die EMEA pro Jahr.Mittlerweile kursieren allerdings Pläne in der EU, auch alle anderen Zulassungsverfahren über die EMEA laufen zu lassen. Bedingung: Die Anträge müssen in den elf Amtssprachen der EU sowie Isländisch und Norwegisch eingereicht werden. Kleine und mittelständische Pharmaunternehmen haben dafür keine Kapazitäten und fürchten um ihre Marktanteile. Doch die Entscheidung für ein zentrales Verfahren hätte nicht nur Kosequenzen für den Wettbewerb: Verbraucherschützer zweifeln schon seit längerem an der Unabhängigkeit der Londoner Behörde.
"Big Brother": Die amerikanische FDA
Die peniblen Qualitätshüter der Federal Drug Administration sind unbestritten die Machthaber des Pharmamarktes: Sie bestimmen zum einen, welche Medikamente in den USA zugelassen werden - für die Unternehmen eine überlebenswichtige Entscheidung. Denn auf dem weltgrößten Arzneimittelmarkt präsent zu sein, verspricht Milliardengewinne.Zum anderen kann die Behörde anordnen, dass Präparate modifiziert oder ganz vom Markt genommen werden müssen. Die Pharmakontolleure inspizieren nicht nur den amerikanischen Markt, sondern wachen auch mit Argusaugen über die Konkurrenz aus Europäisch-Übersee. Denn die FDA hat es in der Hand, von einer Minute auf die andere den Wert eines Unternehmens um Milliardenbeträge in die Höhe zu treiben - oder in den Abgrund stürzen. (Bericht vom 13.3.2002)