Die Handball-WM ächzt unter der Pandemie
12. Januar 2021Wohl noch nie gab es schon vor einer Handball-WM so viele Diskussionen über das Für und Wider einer Austragung. Der Grund dafür ist natürlich die weltweite Corona-Pandemie, die die Durchführung solcher Groß-Events mit 32 Teams überaus erschwert. Dennoch hat der Wettbewerb am Mittwoch mit der Begegnung des Gastgebers Ägypten gegen Chile begonnen. Dass das Turnier in einer so genannten "Blase" stattfindet, bei der die Aktiven und das Betreuerumfeld von der Außenwelt abgeschirmt werden - so wie schon seit längerer Zeit beim Fußball oder auch bei Tennisturnieren - war ohnehin klar.
Doch schon vor dem ersten Anwurf wirbelte die Pandemie das Teilnehmerfeld durcheinander. Wegen zahlreicher positiver Corona-Testergebnisse zogen sowohl Tschechien als auch die USA am Vortag der WM ihre Teams zurück. Nord-Mazedonien und die Schweiz rücken nach. Das sich weiter ausbreitende Virus, das in vielen europäischen Staaten derzeit für massive Lockdowns sorgt, hatte bereits zuvor zu einer deutlichen Verunsicherung bei allen Beteiligten geführt.
So hatten Ende der vergangenen Woche die Kapitäne von 14 europäischen WM-Teilnehmern einen Offenen Brief an IHF-Präsident Hassan Moustafa geschrieben und darin die geplante Zulassung von Zuschauern bei der WM kritisiert. Zu den Unterzeichnern gehörte auch der Kapitän der deutschen Handball-Nationalmannschaft, Uwe Gensheimer. Die Reaktion folgte zwei Tage später: Bei einer Tagung mit der ägyptischen Regierung beschloss die IHF, dass die WM endgültig vor leeren Rängen gespielt wird. Zuvor war eine Hallenauslastung von 20 Prozent geplant gewesen.
Thiel: "Nicht schädlich, dass das Turnier stattfindet"
"Als Privatperson stelle ich mir schon die Frage, ob solche Veranstaltungen sinnvoll sind. Das gilt aber auch für alle Rodel-Weltcups, die Fußball-Bundesliga und alle anderen Sportarten. Das alles ist natürlich nicht systemrelevant", sagt Andreas Thiel der DW. "Wenn man mich jedoch als Handballer und als Funktionär fragt, ist es jedenfalls nicht schädlich, dass solch ein Turnier jetzt stattfindet."
Der ehemalige Weltklasse-Torhüter, der bei den Handball-Fans vor allem unter dem Beinamen "der Hexer" geführt wird, ist Präsidiumsmitglied im Deutschen Handballbund (DHB). Thiel sieht es als großes Privileg für die Handball-Familie an, dass solch ein Turnier überhaupt durchgeführt werden kann: "Wenn man bedenkt, dass die Kinder hierzulande nicht zur Schule gehen dürfen, ist das schon etwas Besonderes, dass wir in die Hallen dürfen."
Absagen aus familiären Gründen aufgrund der Pandemie
Am Dienstagmorgen ist das DHB-Team nach Kairo gereist - in einer Besetzung, die in Nicht-Pandemie-Zeiten wohl anders ausgesehen hätte. Neben einigen verletzten Spielern sagten die Akteure des THW Kiel, Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek und Steffen Weinhold, aus familiären Gründen ab. Weinhold, der zuvor schon Zweifel an der Sicherheit bei der WM geäußert hatte, begründete seine Entscheidung so: "Ich habe mir diese persönliche Entscheidung wahrlich nicht leicht gemacht. Aber die Betreuung der eigenen Kinder ist seit dem harten Lockdown gerade in Familien, in denen beide Elternteile berufstätig sind, keine leichte Aufgabe. Um als Familienvater mit dieser Situation verantwortungsvoll umzugehen, gibt es für mich am Ende keine andere Wahl, als die WM-Teilnahme abzusagen."
Nationaltorhüter Andreas Wolff kritisierte seine ehemaligen Teamkollegen aus Kiel für ihre Entscheidung. Er könne zwar verstehen, dass Spieler in der heutigen Zeit um ihre Gesundheit und Ähnliches besorgt seien, so Wolff, der jetzt beim polnischen Klub Vive Kielce spielt. "Gerade für Familienväter ist es natürlich etwas Schweres, seine Kinder diesen Monat zurückzulassen und sie nicht zu sehen." Aber es habe die Spieler zuvor auch nicht gestört, mit dem THW Kiel in der Champions League aktiv zu sein und dort in Länder zu reisen, die als Corona-Risikogebiete eingestuft worden seien.
Kinder müssen Handball wahrnehmen
DHB-Präsidiumsmitglied Thiel kann dagegen die Absagen nachvollziehen. Die Einschränkungen für die Spieler vor Ort seien zwar "schon grenzwertig", sagt Thiel. "Aber wenn man Privilegien hat, dann muss man Einschränkungen akzeptieren. Auch wenn ich die Entscheidung der Familienväter aus Kiel uneingeschränkt verstehen kann. Genauso ist es aber zu akzeptieren, wenn die Spieler sich dafür entscheiden teilzunehmen."
Der ehemalige Nationaltorhüter, der seit einigen Jahren in Köln als Rechtsanwalt tätig ist, sieht auch ganz pragmatische Gründe dafür, dass die Verbände entscheidend mitgewirkt haben, dass das Turnier stattfindet. Zum einen müssten Verträge mit TV-Sendern und Sponsoren eingehalten werden, damit weiter dringend benötigtes Geld in die Kassen fließe. Zum anderen werde eine Botschaft in die Welt gesandt: "Wir werden noch wahrgenommen, uns gibt es noch. Deshalb ist es gut, dass noch etwas stattfindet", sagt Thiel. "Zum Fußball werden immer Kinder finden, auch wenn dort ein Jahr Pause gemacht würde. Aber zu denjenigen, die da im Windschatten versuchen, irgendwie zu überleben, dorthin findet irgendwann niemand mehr den Weg. Deshalb ist es ganz gut, dass wir mit der WM im Fernsehen wieder präsent sind und in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden."