Die große Unbekannte
11. Dezember 2015"Wir, die Wähler, wurden nicht informiert über dieses Dokument", beschwert sich ein Passant in den Straßen von Bangui. "Wie sollen wir da wählen?" Ein anderer pflichtet ihm bei: "Ich weiß nichts über die Aufklärungskampagne zu dem Referendum. Aber ich finde, jeder Zentralafrikaner sollte sich bewusst machen, worum es darin geht."
Angesprochen auf die neue Verfassung sind viele Zentralafrikaner ratlos. Worüber sie da an diesem Sonntag genau abstimmen sollen, ist den meisten schleierhaft. Hinzu kommt, dass mehrere Versionen im Netz kursieren. Auch Tim Glawion hantiert mit mehreren Texten. Er arbeitet am GIGA-Institut, dem German Institute of Global and Area Studies, und beschäftigt sich intensiv mit dem Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik. Über welchen Entwurf die zentralafrikanische Bevölkerung abstimmen wird, kann auch er nicht mit Bestimmtheit sagen. "Diese Verfassung wurde keineswegs in ihrer endgültigen Form ausführlich mit den Bürgern und Bürgerinnen besprochen oder ihnen zur Verfügung gestellt", sagt der Wissenschaftler.
Die Kampagne für das Referendum ist vor gut einer Woche angelaufen. Politiker der Übergangsregierung machten Werbung für das Papier. Derzeit wird das Land von einer Übergangsregierung geführt. Ihr Ziel: Wahlen zu organisieren und die Erarbeitung der neuen Verfassung zu beaufsichtigen. Damit sich die Mitglieder dieser Regierung im laufenden Prozess keinen Vorteil verschaffen können, wurden sie im Vorfeld von den Wahlen ausgeschlossen.
Modibo Bachir Walidou ist Minister für Territorialverwaltung und ermutigt die Bevölkerung mit Ja zu stimmen. "Diese Verfassung besagt, dass der Staat darüber wacht, dass wirklich alle Regionen des Landes in den öffentlichen Institutionen repräsentiert werden. Und das ist ein enormer Fortschritt." Dieser dezentrale Ansatz war auch schon bei der Erarbeitung des Papiers wichtig: Über Bürgerforen in allen Verwaltungsbezirken wurden die Zentralafrikaner in "Graswurzelgespräche" eingebunden. Dennoch weiß heute kaum jemand, was in dem Papier steht.
Verfassung der Versöhnung?
Das Verfassungsreferendum und die bevorstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 27.Dezember markieren einen Meilenstein für das Land, das sich seit zwei Jahren in einer nie dagewesenen Krise befindet: Im März 2013 wurde Staatschef François Bozizé von Séléka-Rebellen aus dem Amt geputscht, einer Rebellen-Miliz unter Führung von Muslimen. Als Reaktion darauf gründet sich die christliche Anti-Balaka-Miliz. Im Land kommt es bis heute zu Gewalt und Ausschreitungen zwischen den religiösen Gruppen. Jede Woche sterben Menschen in dem blutigen Konflikt.
In der neuen Verfassung ist auch der Schutz der Menschenrechte und der Religionsfreiheit festgeschrieben. Aber wird die neue Verfassung dabei helfen, die zentralafrikanische Gesellschaft zu versöhnen? Eher nicht, sagt Tim Glawion vom Giga-Institut. Die Frage sei viel mehr, wie die Verfassung umgesetzt werde: "Es ist ja nicht so, dass vorher in der Verfassung gestanden hätte: Die Muslime dürfen hier nicht handeln. Aber trotzdem ist es dann auf den Straßen passiert, dass Muslime zum Beispiel Zusatzsteuern zahlen mussten."
Der Rebellenchef Nourredine Adam hatte bereits im Vorfeld angekündigt, dass er versuchen werde, die anstehenden Wahlen zu stören. Seine Gruppe, ein Arm der Ex-Séléka-Miliz, hat Gebiete im Osten des Landes unter ihre Kontrolle gebracht und dort einen eigenen Staat ausgerufen, die 'Republik de Logogne'.
Verfassungsrichter verbannen Bozizé
Viele bewaffnete Akteure hatten von Vornherein ihre Teilnahme an den Verhandlungen über die neue Verfassung abgesagt. Mit einem Punkt dürften sie besonders Schwierigkeiten haben: In einem Verfassungsentwurf aus dem März hieß es in Artikel 23 noch, dass ein Präsident kein Mitglied in einer Miliz oder Rebellenarmee gewesen sein darf. "Das bedeutet, dass alle bewaffneten Gruppen mit Präsidentschaftsambitionen erst mal gegen diese Verfassung sind. Und deshalb ist Nourredine Adam dagegen", erklärt Tim Glawion vom GIGA-Institut. Umso interessanter: In einer neueren Version aus dem September fehlt dieser Punkt.
Die Richter des Interims-Verfassungsgerichts haben diesen Punkt bereits Realität werden lassen: Sie haben politische Schwergewichte mit Vorgeschichte nicht zur Präsidentschaftswahl Ende Dezember zugelassen - darunter auch der Ex-Diktator Francois Bozizé. Eine mutige Entscheidung, findet Glawion. "Das wäre ja verheerend, wenn Bozizé da antreten würde."
Angst vor Angriffen auf Wahllokale
Besonders die schwierige Sicherheitslage gefährdet die Volksabstimmung. Während einige Rebellengruppen öffentlich angekündigt hätten, die Wahlen zu stören, gäbe es auch kleinere Gruppen, wie die von Rebellenführer Ali Darassa in der Stadt Bambari, die die Wahlen aus strategischen Gründen unterstützten, so Glawion. Dieser Konflikt könnte zu Gewalt zwischen den Gruppierungen führen: "Dann kann es auch Angriffe auf Wahllokale geben und da würden dann auch sehr viele Zivilisten ins Feuer geraten."
Auch der zentralafrikanische Verteidigungsminister Joseph Bindoumi kann diese Ängste nicht zerstreuen. Im DW-Interview sagt er, seine Armee unterliege einem Embargo und könne keine militärischen Operationen durchführen. "Die internationalen Streitkräfte hier müssen Noureddine Adam zu verstehen geben, dass er nicht das Recht hat, den Wahlvorgang zu stören." In der Zentralafrikanischen Republik sind derzeit rund 900 französische Soldaten und eine Blauhelmtruppe der UN-Mission Minusca mit 12.000 Mann in der Zentralafrikanischen Republik stationiert.
Ob die Sicherheit überhaupt zu gewährleisten sei? Das schon, sagt der Minister. "Mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft haben wir es trotz unserer begrenzten Mittel geschafft, dass der Papst in dieses Kriegsland gekommen ist. Und er ist bei bester Gesundheit zurückgekehrt. Die nächste Herausforderung ist das Referendum am 13. Dezember."
Wahlen im Schnelldurchlauf
Beobachter hatten lange nicht daran geglaubt, dass die Abstimmung über die Verfassung und die Präsidentschaft- und Parlamentswahlen, die für den 27.Dezember angekündigt sind, noch in diesem Jahr stattfinden. Um Monate hinkte die Übergangsregierung allein bei der Wählerregistrierung hinterher. Der Termin wurde immer wieder verschoben. Doch jetzt scheinen die Organisatoren fest entschlossen, die Wahlen noch dieses Jahr abzuhalten. Tim Glawion ist überzeugt, dass Druck von der internationalen Gemeinschaft gemacht wurde. "Die wollen diese Wahlen, denn Wahlen sind auch immer so eine Ausrede: So, jetzt sind wir fertig. Jetzt können wir gehen."
Mitarbeit: Hippolyte Marboua, Jeff Murphy Barès