Gewollt unauffällig
8. März 2012Als sie Ende 2009 von den Regierungen der EU-Länder nominiert wurden, waren der Belgier Herman Van Rompuy und die Britin Catherine Ashton in der breiten Öffentlichkeit praktisch unbekannt. Und daran hat sich bis heute wenig geändert. Dabei haben der ständige Ratspräsident und die Außenrepräsentantin zwei der höchsten Posten, die die EU zu vergeben hat.
Die eigene Meinung ist unwichtig
Der Ratspräsident sollte der EU nach dem Lissaboner Vertrag mehr Kontinuität geben. Bis dahin hatten sich die Staats- und Regierungschefs der Länder, die jeweils den Ratsvorsitz führen, als Präsidenten abgewechselt. Im Gespräch für den Posten des ständigen Ratspräsidenten waren damals so illustre Figuren wie der frühere britische Premierminister Tony Blair. Doch die Wahl fiel auf jemanden, der fast wie eine Art Anti-Blair wirkte: auf den unscheinbaren ehemaligen belgischen Ministerpräsidenten Herman Van Rompuy. Er wolle vermitteln, zusammenführen, Konsens bilden, seine eigene Meinung zähle nicht, gab Van Rompuy gleich zu Anfang zu Protokoll. Er musste damals viel Spott über sich ergehen lassen. Er habe “das Charisma eines nassen Lappens und das Äußere eines kleinen Bankangestellten“, höhnte der britische Europaabgeordnete Nigel Farage von der europaskeptischen UK Independence Party. Der anwesende Van Rompuy ertrug die Beschimpfung, ohne ein Wort zu sagen.
Van Rompuy hat in der Schuldenkrise Statur gewonnen
Doch er wurde unterschätzt. Und seine unscheinbare Art hat Van Rompuy wahrscheinlich sogar bei seiner Aufgabe geholfen, zumal er seine Ziele hartnäckig verfolgt. Wertvoll wurden seine stillen Vermittlerqualitäten vor allem in der Eurokrise. Stets um Entdramatisierung bemüht, hat es Van Rompuy verstanden, immer wieder die Interessen von starken und schwachen, großen und kleinen Ländern miteinander zu versöhnen und zu verhindern, dass sich die Eurozone von der Gesamt-EU abkoppelt. Im Vordergrund stand er dabei nie. Im Gegenteil, oft haben einzelne Staats- und Regierungschefs solche Verhandlungsergebnisse als ihren Erfolg verkauft. Doch das ficht den Belgier nicht an. Legendär ist Van Rompuys Liebe zu japanischen Haikus, Kurzgedichten mit strenger Struktur. Er veröffentlicht manche sogar, mitunter während einer Ratssitzung, um die Stimmung zu lockern.
Proporzfragen
Auch die Nominierung Catherine Ashtons kam überraschend. Bei der Auswahl der beiden mussten auch Rücksichten auf einen gewissen Geschlechter-, Parteien- und Länderproporz genommen werden: Einem politisch konservativen Mann aus dem kleinen EU-Land Belgien wurde eine Frau mit Labour-Hintergrund aus dem wirtschaftlich wichtigen Großbritannien gegenübergestellt. Kritik richtete sich bei Ashton vor allem auf mangelnde außenpolitische Erfahrung und geringe Fremdsprachenkenntnisse. Anders als Van Rompuy, der Französisch, Niederländisch, Englisch und Deutsch spricht, beherrscht Ashton nur ihre Muttersprache flüssig.
Einengende Loyalitäten
Ashtons offizieller Titel lautet “Hoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik“. Sie führt in ihrer Person die Aufgaben des früheren Vertreters der EU für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die des Kommissars für Außenbeziehungen zusammen. Im Grunde genommen ist sie die Außenministerin der EU, sie darf aber aufgrund nationaler Empfindlichkeiten nicht so heißen. Ashtons Position innerhalb der EU ist kompliziert. Sie trägt einen sogenannten “Doppelhut“, wie es im Brüsseler Jargon heißt. Das bedeutet, sie vertritt nicht nur den Rat der Mitgliedsstaaten, sondern ist auch Erste Vizepräsidentin der Kommission. Außerdem ist ihr der Europäische Auswärtige Dienst unterstellt. Die doppelte Loyalität engt ihren Spielraum enorm ein. Dezidierte eigene Meinungen kann sie sich vielleicht noch weniger leisten als Van Rompuy. Was sie etwa zu den großen Konflikten der Welt sagt, hört sich deswegen notgedrungen sehr nach Gemeinplätzen an.
Ashton setzt eigene Schwerpunkte
Doch sie hat durchaus eigene thematisch-geographische Schwerpunkte gesetzt. So hat sie sich besonders für eine Friedenslösung im Nahen Osten im Rahmen der Quartett-Verhandlungen (UN, EU, USA und Russland) eingebracht, versucht immer wieder, den Iran durch eine Verhandlungen von seinem umstrittenen Atomprogramm abzubringen, und sie sucht diplomatische Lösungen in den Konfliktländern des arabischen Frühlings, seien es Syrien oder Ägypten. Ashton setzt sich außerdem seit Beginn ihrer Amtszeit für eine Verständigung zwischen Serbien und dem Kosovo ein und bemüht sich um den Ausbau der “strategischen Partnerschaften“ zwischen der EU und Ländern wie den USA, Russland, China und Indien.
Wo ist Ashton? Wir wissen es nicht.
Die Fülle der EU-Außenbeziehungen bringt es mit sich, dass Ashton nicht überall sein kann. Trotzdem hat es immer wieder Kritik gegeben, die Außenrepräsentantin lasse wichtige Termine aus, äußere sich zu spät zu akuten Themen und verbringe zu viel Zeit in ihrer britischen Heimat. Manchmal scheinen die eigenen Mitarbeiter nicht ganz auf dem Laufenden zu sein. Unvergessen ist die Antwort eines Kommissionssprechers auf die Frage eines Journalisten, wo sich Ashton gerade befinde. "Wir wissen nicht, wo sie gerade ist, jedenfalls arbeitet sie.“ Doch insgesamt hat die Kritik an ihr abgenommen.
Die Großen haben es so gewollt
Für beide, für Herman Van Rompuy und Catherine Ashton, gilt: Sie sind nicht durch Zufall so unauffällig, sondern weil manche der EU-Regierungen es so wollen. Vor allem die großen Länder und ihre Regierungschefs möchten weiterhin die Hauptrolle spielen und sich nicht durch charismatische EU-Vertreter in den Schatten stellen lassen. Gemessen an dieser gewollten Beschränkung hat vor allem Herman Van Rompuy einiges aus seiner Position gemacht, während Catherine Ashton wahrscheinlich etwa die Rolle spielt, die ihre Ernenner ihr zugedacht haben. Weltweit bekannte Gesichter der EU werden aber wohl beide nie werden.