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Die Geschichte der NSA-Affäre

Marcus Lütticke3. November 2013

Erst ging es nur um das Filtern von Telefonverbindungsdaten zur Terrorabwehr, dann kam heraus, dass sogar die deutsche Kanzlerin von der NSA überwacht wird. Chronologie einer unglaublichen Geheimdienst-Affäre.

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Zentrale der NSA in Fort Meade, Maryland (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images

Es ist der 20. Mai 2013, als er sein bisheriges Leben hinter sich lässt. Der 29-jährige IT-Spezialist und Mitarbeiter der Beraterfirma Booz Allen Hamilton Edward Snowden steigt in ein Flugzeug von Hawaii nach Hongkong. Im Gepäck hat er Dokumente, die Spionage und Überwachung in bislang ungeahntem Ausmaß dokumentieren.

Bereits zu diesem Zeitpunkt ist dem jungen Amerikaner klar, dass er sein Heimatland wahrscheinlich niemals wiedersehen wird. Das berichtet er wenige Tage später in einem Interview mit Journalisten der britischen Zeitung "The Guardian".

Snowden erklärt in dem Gespräch, das in einem Hotel in Hongkong stattfindet, seine Beweggründe für diesen großen Schritt: Er könne es nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren, für ein System zu arbeiten, das die Kommunikation von jedem Menschen zu jedem Zeitpunkt kontrollieren kann - unabhängig davon, ob sich dieser Mensch jemals etwas hat zu Schulden kommen lassen. Es sei ein System, das Speicherkapazitäten in unvorstellbarem Ausmaß habe, um auch rückwirkend das Leben von jedem Menschen gläsern zu machen.

Erste Veröffentlichung

Am 6. Juni berichtet Journalist Glen Greenwald, dem sich Snowden in Hongkong anvertraut hat, im "Guardian" erstmals über ein Geheimdokument, aus dem hervorgehe, dass die NSA Telefonverbindungsdaten von Millionen Amerikanern sammele. Viele andere Medien, darunter auch die Deutsche Welle, greifen das Thema sofort auf. In der Öffentlichkeit ist zu diesem Zeitpunkt aber noch völlig unklar, woher die Informationen stammen.

Potrait von Edward Snowden (Foto: picture-alliance/dpa)
Das erste Interview - Edward Snowden in seinem Hotel in HongkongBild: picture-alliance/dpa

Von da an geht es Schlag auf Schlag. Fast täglich veröffentlichen der "Guardian" und die "Washington Post" neue Enthüllungen zur Überwachung durch die NSA. Am 7. Juni fällt erstmals der Name PRISM in der Berichterstattung, einem Programm, das eine umfassende Überwachung der digitalen Kommunikation von Personen in den USA mit dem Ausland ermöglichen soll.

Jagd auf den "Whistleblower"

In Washington wird unterdessen fieberhaft nach dem Leck gesucht. Man müsse diesen Informanten schnell finden und ihn zur Rechenschaft ziehen, fordert Dianne Feinstein, Senatorin und Vorsitzende des Geheimdienstausschusses, auf CNN. Am 9. Juni 2013 gibt Edward Snowden seine Identität preis.

Zunächst scheint er sich in Hongkong einigermaßen sicher zu fühlen, auch wenn sich sein Hotel nur wenige Meter von einem CIA-Büro entfernt befindet, wie er dem "Guardian" im Interview berichtet. Durch seine Tätigkeit für die amerikanischen Dienste kenne er die weltweiten Liegenschaften der US-Spitzel. In den Medien beginnt eine Spekulation darüber, ob China Snowden festnehmen und an die USA ausliefern werde.

Angezapfte Kabel

Während nach und nach immer mehr Informationen und sogar interne Schulungsunterlagen zu PRISM veröffentlicht werden, kommen auch aus anderen Ländern kritische Fragen an die US-Regierung. In Deutschland, das in einem der Dokumente als von den USA besonders stark überwachtes Land identifiziert wird, fordern Oppositionspolitiker und Öffentlichkeit Aufklärung von den USA. Bei einem Berlin-Besuch am 19. Juni erklärt Obama, dass alles rechtmäßig verlaufe, zur Terrorbekämpfung notwendig sei und auf richterlichen Beschluss hin überwacht werde.

Obama und Merkel (Foto: Reuters)
Muss sich in Berlin kritischen Fragen der Journalisten stellen - Obama bei der Pressekonferenz mit MerkelBild: Reuters

Am 21. Juni wird bekannt, dass auch der britische Geheimdienst GCHQ unter dem Namen "Tempora" massenhaft Kommunikationsdaten abfängt. Dazu würden Glasfaserkabel, die über britisches Territorium verlaufen, angezapft.

Unterdessen verlässt Edward Snowden Hongkong in Richtung Russland. Am 23. Juni landet er auf dem Flughafen Moskau-Scheremetjewo. Es wird spekuliert, er könne nach Kuba oder Südamerika weiterreisen, doch er bleibt zunächst wochenlang im Transitbereich des Airports verschollen.

Unfreiwillige Landung

Als der bolivianische Präsident Evo Morales am 2. Juli vom Besuch einer Konferenz aus Moskau in sein Heimatland zurückkehren will, wird seine Präsidentenmaschine im europäischen Luftraum gestoppt und muss in Wien landen. Frankreich, Spanien Italien und Portugal verweigern angeblich Überflugrechte. Es gibt Gerüchte, Edward Snowden befinde sich an Bord - diese stellen sich jedoch als falsch heraus. In Südamerika ist man entsetzt - ein diplomatischer Tiefpunkt bei der Jagd auf den Whistleblower. Am 1. August erhält Snowden von Russland Asyl, zunächst auf ein Jahr begrenzt. Obama sagt daraufhin ein Treffen mit Putin ab.

Kurz zuvor, am 31. Juli, berichtet der Guardian über ein weiteres NSA-Spionageprogramm mit dem Namen "XKeyscore". Damit sei es möglich, einen vollen Zugriff auf die Inhalte von E-Mails weltweit zu bekommen. Das System sei für die Agenten ähnlich simpel zu bedienen wie die Suchmaschine Google.

Weltkarte aud sen Unterlagen von Edward Snowden (Foto: picture alliance/APA/picturedesk.com)
XKeyscore greift weltweit Daten ab - geheime Karte aus den Unterlagen von SnowdenBild: picture alliance/APA/picturedesk.com

Nachdem über die Sommermonate trotz weiterer Enthüllungen etwas Ruhe in die Bespitzelungsaffäre einkehrt, wird die deutsche Politik am 23.Oktober von einer Meldung des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" überrascht. Das Magazin berichtet, die amerikanischen Geheimdienste hätten das Mobiltelefon von Bundeskanzlerin Angela Merkel vermutlich jahrelang überwacht.

Kanzlerin belauscht

Die Kanzlerin, die sich zuvor immer sehr zurückhaltend zu den Überwachungsmaßnahmen geäußert hatte, zeigt sich verärgert. In einem Telefonat versichert US-Präsident Obama der Kanzlerin, von der Überwachung nichts gewusst zu haben. Das Vertrauen zwischen Berlin und Washington ist dennoch sichtlich erschüttert.

Die neuesten Enthüllungen aus dem Fundus von Edward Snowden präsentiert am 30. Oktober die "The Washington Post". Demnach hat der US-Geheimdienst zusammen mit dem britischen GCHQ Rechenzentren von Google und Yahoo angezapft und dort Daten von Millionen Nutzern abgegriffen.

Die Geheimdienstaffäre - davon ist auszugehen - wird wohl noch eine ganze Weile die Schlagzeilen bestimmen. Europa diskutiert darüber, die eigenen Bürger besser vor ausländischer Spionage zu schützen. Gleichzeitig arbeitet vor allem der britische Geheimdienst aber eng mit den Amerikanern zusammen. Der Deutsche Bundestag will einen Untersuchungsausschuss zu der Affäre einsetzen - als Zeuge könnte dann auch Edward Snowden geladen werden.