Die Gegner sind heimliche Verbündete
9. Mai 2014Die beiden Kandidaten zeigten zunächst durchaus politische Unterschiede wie bei der Frage, ob europäischer Steuerwettbewerb gut (Jean-Claude Juncker) oder schlecht (Martin Schulz) sei. Und doch wurde es kein wirkliches Duell, jedenfalls keins Juncker gegen Schulz, christdemokratische Vorstellungen von Europapolitik gegen sozialdemokratische. Dafür stimmten beide bei den grundlegenden Dingen zu sehr überein. Stattdessen wirkten Juncker und Schulz ein wenig wie geheime Verbündete, die gemeinsam die europäische Idee verteidigen. Der eigentliche Gegner war unsichtbar: das Desinteresse vieler Bürger an der Wahl sowie der rechte und linke Populismus.
Die Idee funktioniert nicht
Ob dieser Gegner besiegt wird, wird sich erst am Wahlabend zeigen. Die bisher meist öde Auseinandersetzung bei Europawahlen soll durch die Spitzenkandidaten lebendiger und personalisierter, auch europäischer werden. Neben Volkspartei und Sozialisten haben auch die Liberalen, die Grünen und die Linke ihre Spitzenkandidaten aufgestellt. Sie alle tingeln im Moment durch Europa und beteiligen sich in unterschiedlicher Zusammensetzung an Debatten wie der in Berlin. Doch so richtig die Idee grundsätzlich ist, sie funktioniert nicht so recht. Das liegt vor allem daran, dass es bisher keine gesamteuropäische Öffentlichkeit gibt. Und das hat viel mit den unterschiedlichen Sprachen Europas zu tun.
Übersetzte Debatten sind langweilig
Juncker und Schulz zum Beispiel können beide auf Deutsch debattieren. Doch so flüssig der Luxemburger deutsch spricht, der Deutsche Martin Schulz schien hier einen leichten rhetorischen Vorteil gegenüber seinem Rivalen zu haben. Vor einem französischsprachigen Publikum wiederum hätte Juncker sprachlich vorn gelegen. Hätte man dagegen die übrigen Spitzenkandidaten in Berlin dabei gehabt, was der Debatte inhaltlich deutlich mehr Biss hätte geben können, hätte man aufs Englische ausweichen müssen. Die Übersetzungen für ein deutschsprachiges Publikum wiederum hätten dann das rhetorische Feuer sofort wieder gelöscht. Kaum jemand will sich so etwas ansehen. Offenbar auch deswegen hatten ZDF und ORF beschlossen, nur Schulz und Juncker einzuladen.
Unbekannte Kandidaten
Aber es gibt nicht nur das Sprachproblem. Schulz schien beim Publikum schlicht auch deshalb besser anzukommen, weil er Deutscher ist. Doch das ist nur ein relativer Vorteil. Denn bekannt ist er trotzdem nicht besonders, selbst in Deutschland nicht. Juncker mit seiner kleinen luxemburgischen Heimat wiederum kann noch an viel weniger Orten in Europa einen Heimvorteil ausspielen. Wer sich außerhalb Luxemburgs und Belgiens nicht gerade für Europapolitik interessiert, wird auch Jean-Claude Juncker kaum kennen.
Teil des Systems
Die Spitzenkandidaten stehen aber noch vor einem weiteren Dilemma, wenn sie die Skeptischen und Desinteressierten für die Wahl begeistern wollen. Denn Juncker und Schulz sind durch und durch Teile des Systems, Juncker aus dem Rat der Mitgliedsstaaten, Schulz aus dem Parlament. Sie werden daher niemanden ansprechen können, der dem europäischen Apparat misstraut. Schulz steht noch für eine gewisse Frische und für eine Stärkung des Parlaments, aber auch nicht für grundlegend Neues. Juncker dagegen ist vollends der personifizierte Status quo. Von den erwarteten Mehrheitsverhältnissen im Parlament her hat eigentlich nur einer dieser beiden Chancen, Kommissionspräsident zu werden. Doch nicht einmal das ist garantiert. Niemand kann sicher sein, dass die Staats- und Regierungschefs tatsächlich den Spitzenkandidaten der stärksten Partei vorschlagen werden. Wenn sie es nicht tun, wäre das Verrat an den Bürgern, sagen die Kandidaten. Juncker und Schulz haben den Wählern gesagt, sie würden den Kommissionspräsidenten praktisch mitwählen. Wird dies nicht erfüllt, sehen sie für die EU eine schwere Krise heraufdämmern. Auch diese Angst eint die Duellgegner.