Die Gas-Boom-Stadt
29. Februar 2008Mehr als 90 Prozent des russischen Erdgases - das sind fast 600 Milliarden Kubikmeter - werden in der Jamal-Region gefördert. Die Gasbranche ist für Russlands Wirtschaft ein Top-Devisenbringer. Milliarden Euro, die Russland mit dem Gasexport - auch nach Deutschland - verdient, werden von der Kremladministration verwaltet.
Auch für den autonomen Bezirk fällt davon reichlich ab. Anna Konopkina, die Vizepräsidentin der örtlichen Industrie- und Handelskammer, bestätigt es: "Wenn man den Wohlstand der Bevölkerung sich ansieht, so belegt unser Bezirk in ganz Russland die Spitzenposition. Die Arbeitslosigkeit ist hier extrem niedrig."
Hohe Löhne – hohe Lebenshaltungskosten
Die Löhne sind hier hoch, zum Teil höher als in Moskau. Rund 1400 Euro ist das Durchschnittseinkommen – dabei wurden die Gehälter der Top-Manager gar nicht mit in die Statistik aufgenommen. Doch ein Rubel im Hohen Norden ist weniger wert, als im europäischen Teil Russlands, sagt der 27-jährige Dmitrij, gelernter Ingenieur. Er arbeitet auf dem riesigen Erdgasfeld Medweschje: "Man verdient gut, aber Lebensmittel sind teurer, die Nebenkosten höher, also ist der Lohnunterschied im Vergleich zu den anderen russischen Gebieten kaum zu spüren."
Raues Klima
Das Leben ist nicht einfach in der Region und nur ganz wenige wollen für immer bleiben, weiß Georgij Bodnar, Chef des Unternehmerverbands der Stadt Gubkinskij: "Die Arbeitsbedingungen hier sind hart und das Leben schwer - und nicht nur was das soziale Umfeld angeht. Wer uns beneidet, liegt falsch: Das Klima ist hart und der Lohn oft nicht höher, als in westlichen und südlichen Regionen."
Zehn Monate Winter
Der Sommer, in dem Riesenmoskitos die Menschen plagen, dauert maximal zwei Monate. In der übrigen Zeit herrscht Winter. Die eisige Kälte zwingt die Bewohner sogar, nachts die Motoren ihrer Autos laufen zu lassen, damit sie am Morgen überhaupt zur Arbeit kommen können. Manchmal bleiben die Kinder wochenlang zu Hause, weil der Schulbesuch wegen Unwettern nicht möglich ist. Dennoch bleibt das Gebiet attraktiv.
"Die Stadt wächst weiter. Schon jetzt sind es 117.000 Einwohner", sagt der neue Bürgermeister von Nowij Urengoj Iwan Kostogris. Ausländische Investoren sind hier herzlich willkommen. Die BASF-Tochter Winterschall fördert inzwischen Gas zusammen mit Gazprom, E.ON will sich an diesem Projekt auch beteiligen. Aber auch für die kleineren Unternehmen gibt es reichlich Platz.
Deutsches Know-How gefragt
"Der Bausektor boomt derzeit sehr stark, da ist deutsches Know-How gefragt. Auch alles was mit der Abfallproblematik und mit Abwasser zu tun hat. Das sieht man jetzt schon überall. Die Müllverbrennungsanlagen sollen gebaut werden", sagt Gert Schmitter, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Commit mit Sitz in Berlin.
Gazprom zahlt
Die Kindergärten sind bis abends geöffnet, sie haben Schwimmhallen, große und schöne Räume, bestes Spielzeug. Es gibt ärztliche Betreuung, Tanz, Musik- und Malunterricht, spezielle Angebote für die Vorschulkinder. Gazprom trägt fast alle Kosten. Freilich – wer nicht für den Gasmonopolisten arbeitet muss für die Unterbringung der Kleinen fast Tausend Euro pro Monat bezahlen.
Jung und reich
Manche können sich das leisten. Die Region boomt. Man wohnt gut. Neben Holzhäuschen und Plattenbauten stehen da und dort neue Wohn- und Bürohäuser. Das schicke Kongresszentrum in Nowij Urengoj würde auch in Deutschland auffallen. Nowij Urengoj – die in ganz Russland bekannte "Stadt der Gasförderer und Bauarbeiter" – ist eine junge Stadt, sagt Vizebürgermeister Wassilij Stepanow, der selbst erst 30 ist: "Das Durchschnittsalter liegt jetzt bei 30,5 Jahren."
Wohlstandswähler
Für die große Politik interessiert sich hier kaum jemand. Man wählt mehrheitlich kremltreu. Die Baufirma Transsibstroi aus Nowij Urengoj ist der größte Sponsor der Wahlkampagne für Präsidentschaftsbewerber Dmitri Medwedjew. Umgerechnet 700.000 Euro hat man gespendet. Ganz unpolitisch.