Die fliegenden Seenotretter
6. Juli 2019Carola Rackete, die Kapitänin der "Sea-Watch-3”, ist vielen Menschen ein Begriff. Fabio Zgraggen hingegen kennt so gut wie niemand. Dabei arbeiten sie eng zusammen. Der Schweizer Pilot hat die Humanitarian Pilots Initiative (HPI) gegründet, eine private Hilfsorganisation. Er wechselt sich mit etwa sechs Piloten ab, die regelmäßig in den Süden Europas fliegen, um Aufklärungsflüge über dem Mittelmeer durchzuführen.
Alle sind ehrenamtlich im Einsatz. Bis zu zehn Stunden am Tag kreist das HPI-Flugzeug über dem Meer und meldet Schlauchboote mit Migranten an Bord an private Schiffe wie die "Sea-Watch 3" und an offizielle Stellen wie die Seenotrettungsleitstelle MRCC in Rom.
Die humanitäre Pilotenvereinigung und Sea-Watch sind eigentlich ein und dieselbe Organisation, finanziert werden sie aus denselben Spendeneinnahmen. Aber die Piloten der HPI fliegen unabhängig von den privaten NGO-Booten. "Wir sind bei gutem Wetter sieben Tage die Woche unterwegs", sagt Zgraggen. Selbst als zeitweise alle Sea-Watch-Boote von nationalen Behörden beschlagnahmt waren, flogen die Piloten weiter ihre Missionen über dem Mittelmeer. Dabei melden sie jedes Schlauchboot, das sie sehen. "Jedes von ihnen ist potentiell in Seenot", sagt Zgraggen. "Diese Boote sind meist extrem überladen und nicht seetauglich. Innerhalb von zehn Minuten kann sich eine eigentlich stabile Situation so verändern, dass das Boot sinkt. Deshalb sind wir verpflichtet, jedes Boot zu melden."
Flüge an der Belastungsgrenze
Die Flüge über dem Mittelmeer sind für die ehrenamtlichen Piloten und ihre dreiköpfige Crew physisch und mental anstrengend. Ein einzelner Flug kann sieben Stunden am Stück dauern. Oft landen die Piloten nur kurz, um zu tanken, und starten dann wieder Richtung offenes Meer. Das Seegebiet, das sie überfliegen, hat eine Größe von rund 17.000 Quadratkilometern.
Um Gewicht zu sparen und die vielen Flugstunden möglich zu machen, verzichten die Piloten in ihren Kleinflugzeugen auf Klimaanlagen. "Dadurch steigen die Temperaturen im Flugzeug auch mal auf 45 Grad", sagt Zgraggen. Das alles erfordert gut trainierte Piloten, die sich mit dem Fliegen über dem offenen Meer auskennen. Auch auf mentale Belastungen werden Crew und Pilot vorbereitet, sagt Zgraggen. "Es kommt auch vor, dass man aus der Luft hilflos mit ansehen muss, wie ein Mensch stirbt. Das kann sehr belastend sein."
Vor vier Jahren hatte der 34-jährige Zgraggen gemeinsam mit einem Pilotenkollegen die Idee. Die beiden betreiben in der Schweiz eine Flugschule. Angesichts der täglichen Meldungen von ertrinkenden Migranten, wollten sie etwas beitragen. Sie kontaktierten verschiedene Nichtregierungsorganisationen, schlossen sich schließlich mit Sea-Watch zusammen. Zgraggen und seine Mitstreiter merkten, dass ihr Wissen und Können weiterhelfen könnte. "Die Kapitäne der Schiffe sagten uns, dass sie mehr oder weniger blind auf dem Meer waren. Wir können ihnen den Überblick geben, den sie brauchen", sagt Zgraggen.
Private Seenotrettung unter Druck
Das war 2015. Seitdem hat sich das internationale Klima gegenüber der privaten Seenotrettung verändert. Die rechtsgerichtete Regierung in Italien geht hart gegen die Nichtregierungsorganisationen vor. Auch Malta hat seine Häfen für die privaten Schiffe geschlossen. Die Begründung der europäischen Länder: Rettung und Suchen im Mittelmeer ist Aufgabe des Staates und nicht die privater NGOs. Außerdem trügen diese im Mittelmeer zur Migration bei und dienten indirekt libyschen Schleppern. Pilot Zgraggen sieht sich nicht als Teil des Problems. Im Gegenteil. "Wir sind ein Teil des Rettungssystems. Wir hinterfragen unser Tun ständig, aber wir können keine endgültige Lösung bieten. Die liegt nicht auf dem Meer. Wir können nur auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machen."
Den verstärkten internationalen Druck auf private NGOs im Mittelmeer bemerken auch die ehrenamtlichen Piloten. Vor einem Jahr entzog Malta der HPI die Starterlaubnis. Ohne rechtliche Grundlage, meinen die Piloten. Sie hätten alle notwendigen Lizenzen gehabt. Und als privates Flugzeug müssten sie die Flüge nicht anmelden. Maltesische Behörden sehen das anders. Inzwischen haben die Piloten einen anderen Flughafen gefunden, von dem aus sie starten. Welcher das ist, sagen sie nicht. Sie fürchten den Entzug weiterer Starterlaubnisse. Aber selbst dann, sagt Zgraggen, hätten die Piloten bereits Alternativen im Blick.